Gesundheitskommunikation und Geschichte. Interdisziplinäre Perspektiven
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Doreen Reifegerste, Christian Sammer
In dieser Einführung des Open-Access-Sammelbandes „Gesundheitskommunikation und Geschichte. Inter- disziplinäre Perspektiven“ stellen wir die Beiträge und ihre verbindenden Elemente sowie die Zielstellungen des Sammelbandes vor. In diesem Band geht es darum zu überprüfen, ob man voneinander lernen kann: Der Band versammelt geschichts-, kultur- und kommunikationswissenschaftliche Zugänge auf die Historizität des Redens, Schreibens und Zeigens der Bedingungen von Gesundheit und Krankheit. Sein Ziel ist, im Zusammenklang seiner Artikel mögliche interdisziplinäre Perspektiven, Zugänge, Materialien und Methoden auszuloten. Wir wollen tastend erfragen, ob und inwieweit die gegenseitige Irritation, die interdisziplinäre Vorhaben auslösen, nicht nur verunsichert, sondern auch eine konstruktive Unruhe auslöst. Dafür bietet der Band verschiedene Zugangswege durch unterschiedliche Strukturierungsansätze an. Dementsprechend werden die Beiträge anhand der (1) Gesund- heitsthemen, der (2) Chronologien sowie Kontinuitäten, Analogien und Brüchen, der (3) Kommunikationsformate und (4) der damit verbundenen Sammlungen bzw. Institutionen vorgestellt. Abschließend werden auch Hinweise zu den ergänzenden digitalen Materialien gegeben.
Sascha Salatowsky
Im Beitrag beschreibe ich ausgewählte Aspekte des Gesundheitswesens im deutschsprachigen Raum der Frühen Neuzeit. Dabei spielen obrigkeitliche Verordnungen zur Regelung des Gesundheitswesens ebenso eine wichtige Rolle wie die verschiedenen Akteure in einer überwiegend ländlich und ständisch geprägten Gesellschaft. Auf die stationären Gesundheitseinrichtungen der Hospitäler, Apotheken und Heilbäder aufbauend entwickelte sich ein ausdifferenziertes Gesundheitssystem, das unter hygienisch und medizinisch schwierigen Bedingungen ein hohes Vertrauen der Bevölkerung genoss. Ein Großteil der Behandlungen wurde von praktisch ausgebildeten Barbieren, Badern, Wundärzten, „Kräuterhexen“, Hebammen und Chirurgen vor Ort erbracht. Die gelehrten Mediziner waren dagegen fernab an den wenigen Universitäten in der Lehre für den akademischen Nachwuchs tätig oder praktizierten in den größeren Städten. Sie repräsentierten das Gelehrtenwissen und veröffentlichten in hoher Zahl ihre überwiegend in lateinischer Sprache verfassten Schriften. Eine Ausnahme hiervon bildeten die sogenannten Pesttraktate, die den Bewohnern in deutscher Sprache Handlungsanleitungen an die Hand gaben, wie man sich vor den Seuchen schützen könne.
Doreen Reifegerste, Anna Wagner
(Globale) Pandemien stellen das Gesundheitshandeln und die Gesundheitskommunikation von Gesellschaften seit jeher vor enorme Herausforderungen. Obgleich sich Pandemien im Laufe der Geschichte stark unterschieden haben und sich in divergierenden historischen Kontexten ereigneten, so ähnelt sich dennoch der Umgang mit und die Kommunikation zu pandemischen Krisen zu unterschiedlichen historischen Zeitpunkten. In diesem Beitrag blicken wir auf die Gesundheitskommunikation rund um pandemische Krisen in verschiedenen Epochen und unterschiedlichen Medien- und Kommunikationslandschaften und fokussieren auf die historischen Gemeinsamkeiten der Pandemiekommunikation. Auf Basis einer inhaltlichen Strukturierung und in Anlehnung an die Lasswell-Formel arbeiten wir dabei die historischen Analogien der Pandemiekommunikation mit Blick auf die Kommunikator*innen, Medieninhalte, Medien- und Kommunikationskanäle, das Publikum sowie deren Medienwirkungen heraus und identifizieren spezifische überzeitliche Phänomene und Muster der pandemischen Kommunikation.
Patrick Rössler
In seinem fünfbändigen Werk "Das Leben des Menschen" erklärte der Mediziner Fritz Kahn (1888–1968) der bildungshungrigen Mittelschicht der Weimarer Republik die Anatomie, Biologie, Physiologie und Entwicklungsgeschichte des Menschen. Zwischen 1922 und 1931 veröffentlicht, gilt seine enzyklopädische Gesamtdarstellung heute als eine der Meisterleistungen populärer Wissenschaftsvermittlung und – wegen der weit über 1.000 Abbildungen auf Tafeln – als ein Meilenstein der visuellen Kommunikation. Der Beitrag untersucht die Visualisierungsstrategien des Werkes und seine Vermittlungswege, auch im Hinblick auf aktuelle Ansätze der Gesundheitskommunikation.
Annemarie Wiedicke
Bewegung und Sport unterliegen normativen Vorstellungen: Sie repräsentieren Ideale und Fähigkeiten weit über das eigentliche Sporttreiben hinaus. Durchtrainierte Körper stehen für Gesundheit und Leistungsfähigkeit im privaten und beruflichen Alltag, aber auch für Erfolg, Potenz und Kampfbereitschaft. Vor diesem Hintergrund analysiert der vorliegende Beitrag exemplarisch verschiedene historische Beispiele strategischer Kommunikation zur Bewegungsförderung aus der Zeit der NS-Diktatur sowie der DDR. Kontrastierend wird eine zeitgenössische Gesundheitskampagne der BZgA vorgestellt. Dies geschieht mit Blick auf die normativen Aspekte von Kommunikation in unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Anhand der betrachteten Beispiele zeigt sich insbesondere der Wandel von einer kollektivistischen zur einer individualistischen Leitnorm. Des Weiteren wird eine Veränderung des Verständnisses von Gesundheit deutlich, welches der Kommunikation zugrunde liegt. Die Thematik bietet dabei eine Vielzahl von Möglichkeiten für Anschlussbetrachtungen: So könnte bspw. mittels einer systematischen, standardisierten Bildinhaltsanalyse ermittelt werden, ob der Zweite Weltkrieg mit einem Bruch in der Kommunikation des NS-Regimes zur Bewegungsförderung einherging. Weiterhin wäre ein Vergleich der normativen Prämissen der Kommunikation zwischen der BRD und der DDR denkbar.
Lena Lehrer
Die positiven psychischen Effekte von Bewegung treten am ehesten dann auf, wenn gesundheitliche Aspekte das stärkste Motiv darstellen. Gleichzeitig lassen sich diese Effekte jedoch am seltensten bei jungen Frauen beobachten. Eine mögliche Erklärung liegt in der erhöhten Relevanz der Attraktivität als Motiv zur sportlichen Betätigung unter Frauen, wobei die Gesundheitsförderung selbst dann in den Hintergrund rückt. Der vorliegende Beitrag fasst den aktuellen Stand der Forschung zu diesem Zusammenhang zusammen. Es werden insbesondere die Verknüpfung von Gesundheit und Attraktivität sowie die Verwendung von Appearance-Frames in der Bewegungsförderung thematisiert und beispielhaft auf deren Einsatz ab der Mitte des 20. Jahrhunderts eingegangen. Dabei werden zunächst die geläufigsten Motive von Bewegung sowie mögliche Folgen dargestellt, wobei zum Verständnis die Objektifizierungstheorie von Fredrickson und Roberts (1997) herangezogen wird. Die Erkenntnisse zur Kommunikation in diesem Kontext deuten insgesamt darauf hin, dass das Framing der Bewegungsförderung Einfluss auf ihre Auswirkungen nehmen kann.
Anna-Maria Theres Schüttel
Gegenwärtig hat sich der schlanke Körper zum Idealbild für Frauen in allen Altersgruppen etabliert. Schlankheit bildet somit einen festen Bestandteil des weiblichen Schönheitsideals sowie der Geschlechterrolle. Insbesondere die Medien prägen das gesellschaftliche Körperideal und dessen Wahrnehmung. Ebenso sind Medien dafür verantwortlich, dass Körper- und Schönheitsideale immer präsenter und nachahmenswerter erscheinen. So werden in der Werbung präsentierte Darsteller*innen als repräsentant für die gesamte Bevölkerung wahrgenommen und prägen somit gesellschaftliche Idealvorstellungen maßgeblich. Körperideale sind jedoch keine geschichtslosen Erscheinungen, sondern weisen historische Prägungen auf. Sie stellen ein Symbol der jeweiligen Gesellschaft dar und sind von deren Strukturen geprägt. Im vorliegenden Beitrag werden zwei Werbeanzeigen für Körpergewichtsregulierungsprodukte aus den Jahren 1967 und 2016 gegenübergestellt, um die mediale Aufbereitung und Kommunikation von Körperidealen im zeitlichen Verlauf näher zu beleuchten. Außerdem wird die Verbreitung der Personenwaage als Selbstvermessungsinstrument im 20. Jahrhundert in Haushalten vorgestellt. Dies zeigt wie auch die Vermessung als Methode der Selbstnormalisierung (durch Einübung des Selbstabgleichens mit der Norm) Zusammenhänge mit der Verbreitung des vorherrschenden Körperideals aufweist.
Linn Julia Temmann
Die weltweit steigende Prävalenz von Übergewicht und Adipositas wird häufig auch als „Epidemie“ bezeichnet. Gleichzeitig werden Menschen mit einem hohen Körpergewicht in vielen Lebensbereichen stigmatisiert oder diskriminiert. Dazu gehört auch eine unvorteilhafte bis offen herabwürdigende Darstellung in den Medien, sei es in journalistischen Beiträgen, staatlichen Anti-Übergewichtskampagnen oder in Unterhaltungsformaten. Um zu erklären, warum Menschen mit einem höheren Körpergewicht so häufig abgewertet werden, ist das Konzept der Verantwortungszuschreibung besonders geeignet. Denn wie bei kaum einem anderen Gesundheitsproblem wird hier vorausgesetzt, dass die Regulation des Körpergewichts in der individuellen Verantwortung liegt, etwa durch eine disziplinierte Ernährung und Bewegung. In dem vorliegenden Beitrag gebe ich einen Überblick über vorherrschende Deutungsmuster zum Thema Verantwortung und Übergewicht vom 19. Jahrhundert bis heute. Anhand von historischen und aktuellen Beispielen aus Werbung, Literatur und strategischer Gesundheitskommunikation wird erläutert, welche Entwicklungen zum heutigen Verständnis von Übergewicht beigetragen haben. Unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes zum Responsibility Framing werden schließlich ethische Implikationen für die heutige Gesundheitskommunikation aufgezeigt.
Claudia Böttcher1, Charmaine Voigt2
Die DDR-Führung nutzte das Massenmedium Fernsehen als ein politisches Instrument zur Ernährungsprävention. In der vorliegenden Untersuchung steht der konkrete Zusammenhang zwischen der Versorgungssituation der DDR in den 1980er Jahren und der ernährungsbezogenen Gesundheitsaufklärung anhand der Ratgebersendung HAUSHALTS-ALLERLEI PRAKTISCH SERVIERT (HAPS) im Fokus. Die Sendereihe ist dabei als Teil einer gesundheitspolitischen Strategie der DDR einzuordnen, die darauf abzielte, althergebrachte ungünstige Ernährungsmuster aufzubrechen, um nicht zuletzt die Kosten der Gesundheitsversorgung zu reduzieren. In allen vier exemplarisch analysierten Sendungen von 1984, 1987, 1989 und 1990 konnten explizit vermittelte Ernährungs- botschaften eruiert werden. Neben sachlich-informativen konnten allerdings auch unterhaltende Sendungselemente identifiziert werden, die nicht durchgehend zur Gesundheitsförderung beitragen.
Mara Berlekamp
Sexuell übertragbare Krankheiten (STI) beschäftigen Menschen seit jeher. Nachdem Sexualität und Fragen sexuellen Verhaltens bis zum Ende des 19. Jahrhunderts im öffentlichen Diskurs jedoch weitgehend tabuisiert waren, rückte das Thema Geschlechtskrankheiten während der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert immer mehr in den Fokus des öffentlichen Interesses. Die Aufklärung der breiten Bevölkerung über die Geschlechtskrankheiten und der damit verbundene Wunsch nach Prävention wurde zu einer wichtigen Aufgabe erklärt. Bis heute sind die Förderung sexueller Gesundheit und die STI-Prävention elementarer Bestandteil der Gesundheitskommunikation. Dieser Beitrag widmet sich einer kommunikationswissenschaftlichen Analyse der hierfür eingesetzten Botschaftsstrategien im frühen 20. Jahrhundert. Dafür werden unterschiedliche Aufklärungsmaterialien im Kontext der historischen öffentlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen analysiert. Auf Basis dessen findet zudem ein Vergleich der historischen Persuasionsstrategien mit Strategien aktueller Angebote zur Prävention sexuell übertragbarer Krankheiten in Deutschland statt.
Helene Baumbach
Die Themen HIV und AIDS prägten in den 1980er Jahren die Gesundheitsaufklärung in Deutschland. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in der Bundesrepublik Deutschland und das Deutsche Hygiene-Museum Dresden für die Deutsche Demokratische Republik agierten als zentrale Einrichtungen zur umfassenden Aufklärung über das Virus, seine Verbreitungswege und die Erkrankung auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Während in der BRD an die Eigenverantwortung und Solidarität gegenüber Betroffenen appelliert wurde, standen in der DDR ganz andere Werte wie die Treue und Stabilität in der Partnerschaft im Vordergrund der Aufklärung. Die unterschiedlichen Wertesysteme in Ost- und Westdeutschland wirkten sich somit auch auf verschiedene Art und Weise auf die Aufklärungsarbeit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und des Deutschen Hygiene-Museums Dresden in beiden deutschen Staaten aus. So wählte die sich immer als fortschrittlich verstehende DDR einen eher konservativen, kleinbürgerlichen Weg, während in der BRD aktiv mit sexuell definierten Randgruppen zusammengearbeitet wurde. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es daher aufzuzeigen, welchen Einfluss politische Systeme auf die Gesundheitsaufklärung hatten. Dafür wird zunächst die gesundheitspolitische Ausgangssituation in den beiden Staaten skizziert. Anschließend werden die verschiedenen Aufklärungsansätze anhand der Kampagnenlogik rekonstruiert und miteinander verglichen.
Helene Paschold
Die Aufklärung über HIV und AIDS durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Deutschland war wegweisend für die Renaissance gesellschaftsbezogener Reaktionsweisen auf Infektions- krankheiten in der Bundesrepublik am Ende des 20. Jahrhunderts. Im Zuge der Pandemie in den 1980er-Jahren entwickelten sich in Westdeutschland Konzepte und Grundlagen für die partizipative Aufklärung über Gesundheitsprobleme, die ihre sozialen Probleme in den Blick nehmen und nach 30 Jahren noch immer Anwendung finden. In diesem Beitrag wird die Evaluation von Gesundheitskommunikationskampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu HIV und AIDS von 1987 bis 2017 mittels qualitativer und quantitativer Inhaltsanalyse untersucht, um deren These des evaluationsgestützten Lernens zu überprüfen. Abschließend wird diskutiert, inwiefern die Evaluationsstudien zu einer Weiterentwicklung der Aufklärungsarbeit und des Verständnisses für Kampagneneffekte beigetragen haben.
Sophia Schaller
Während die HIV-Neuinfektionsrate mittlerweile auf einem niedrigen und stabilen Niveau ist, sind die Erkrankungszahlen verschiedener sexuell übertragbarer Infektionen (STI, z. B. Syphilis) in den letzten Jahren stark angestiegen. So ist neben der Prävention einer Infektion mit HIV heute auch die Prävention von anderen STI durch die mediale Aufklärung über Ansteckungswege, Schutzmaßnahmen und Symptome von großer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit. Dementsprechend hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die im Auftrag des Ministeriums für Gesundheit kommunikationsstrategische Aufgaben für die STI-Prävention übernimmt, ihre ursprüngliche Kampagne GIB AIDS KEINE CHANCE schrittweise zur STI-Kampagne LIEBESLEBEN entwickelt. Zur Veranschaulichung dieses Wandels zeichnet der vorliegende Beitrag die Kampagnenkommunikation der BZgA seit 2008 nach.
Vivien Kretschmer
Schon im frühen Alter wird in Schulen den Kindern das menschliche Sexualleben mit allen Risiken aber auch den positiven Seiten näher gebracht. Somit können ungewollte Schwangerschaften, sexuell übertragbare Infektionen oder andere negative Folgen von Unwissenheit um das Thema Sexualität vermieden und fundiertes Wissen darüber generiert werden. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Sexualaufklärung der heutigen Zeit. Er fokussiert sich auf die Sexualaufklärung im Kontext der Schule und thematisiert hierbei die verschiedenen Kommunikationsformate. Wichtig bei einer Sexualaufklärung in der Schule ist das interaktive Lernformat. Die Schüler*innen sollen durch Fragen, Diskussionen und Reflexionen von eigenen Erfahrungen den Verlauf der Lerneinheiten mitbestimmen dürfen. Ein weiterer Schwerpunkt dieser Arbeit sind die Anforderungen an die Fachkräfte. Lehrer*innen und Erzieher*innen benötigen unterschiedliche Kompetenzen und Qualifikationen in Bezug auf die altersgerechte Vermittlung von Themen der Sexualität. Empathiefähigkeit spielt hierbei eine große Rolle. Außerdem bietet dieser Beitrag einen kleinen Exkurs zur Sexualaufklärung in anderen europäischen Ländern. Schwerpunkte sind die Themen und Ziele der Sexualaufklärung in Finnland, Estland, Niederlande, England und Spanien.
Eva Theresa Graf, Franziska Schiefeneder
Nicht nur heute werden spezielle Kommunikationstechniken eingesetzt, um Menschen zu überzeugen – auch die Nationalsozialisten versuchten mit propagandistischen Mitteln Ziele zu erreichen. Die Vision des „gesunden Volkskörpers“ stand dabei im Fokus der Nationalsozialisten, denn in der nationalsozialistischen Ideologie hatte insbesondere die körperliche Verfassung der Bevölkerung einen hohen Stellenwert. In der NS-Ideologie bildete der „arische“ Körper das Ideal des „neuen Menschen“. Die biologischen Eigenschaften eines Menschen sowie dessen „rassischer Wert“ entschieden darüber, ob der- oder diejenige in die „Volksgemeinschaft“ ein- oder davon ausgeschlossen wurde. Zur Schaffung eines „gesunden Volkskörpers“ wurden „Erbkranke“ getötet und „Erbgesunde“ „gezüchtet“. Eine „Ausmerzung“ von „Erbkranken“ erfolgte beispielsweise im Rahmen der Aktion T4, in der über 70.000 geistig kranke und behinderte Menschen systematisch ermordet wurden. Im Gegensatz dazu wurde in den Heimen des Lebensborn e. V. eine – in den Augen der Nationalsozialisten – „wertvolle Rasse“ „herangezüchtet“. Bei diesem Verein handelte es sich jedoch keinesfalls um eine Wohltätigkeitsorganisation, denn die Lage von (ledigen) Schwangeren wurde ausgenutzt und es wurden lediglich diejenigen Frauen geschützt, die einen „rassisch wertvollen“ Nachwuchs gebären würden. Doch wie haben es die Nationalsozialisten geschafft dieses „Ideal des Volkskörpers“ zu kommunizieren? Dies soll im Beitrag genauer beleuchtet werden.
Michael Markert
Medizinische Fachsammlungen und ihre Schaustücke spielen in der Regel in breiten gesellschaftlichen Diskursen keine Rolle. Eine so eigenwillige wie interessante Ausnahme ist die „Humanembryologische Dokumentations- sammlung Blechschmidt“ am Zentrum Anatomie der Universitätsmedizin Göttingen. Sie geht auf den Anatomen Erich Blechschmidt (1904-1992) zurück, der von 1942 bis 1973 die Göttinger Anatomie leitete, dort einen humanembryologischen Schwerpunkt etablierte, mit ärztlicher Unterstützung Hunderte embryonaler Präparate sammelte und auf dieser Grundlage Forschungsmodelle herstellen ließ. Entstanden ist so neben einer Referenzsammlung histologischer Schnittserien eine beeindruckende Fachausstellung mit dutzenden, ausgesprochen detaillierten Kunststoffmodellen menschlicher Embryonen. Diese Ausstellung ist bis heute auch für ein Laien zugänglich und diente während der 1980er und 1990er Jahren im öffentlichen Diskurs um den Schwangerschaftsabbruch als fragwürdiger wissenschaftlicher Beleg dafür, dass jeder Embryo ein vollwertiger Mensch und deshalb vor Abtreibung zu schützen sei. Im Beitrag werde ich der Beziehung zwischen hochspezifischer Fachausstellung und gesellschaftspolitischer Auseinandersetzung nachgehen. Vorgestellt werden verschiedene Lesarten der Modellausstellung, die um Embryologie, Moral, NS-Verbrechen und Wissenschaftsgeschichte kreisen und die Frage aufwerfen, wie im Ausstellungsraum die vielfältigen historischen Kontexte sichtbar gemacht werden können.
Johanna Lessing
Der Herausforderung, eine Ausstellung über eine Pandemie während einer Pandemie zu gestalten, hat sich das Deutsche Medizinhistorische Museum Ingolstadt (DMMI) angenommen. Die Ausstellung „Die Ingolstädter Maskentonne. Eine Corona-Ausstellung mit medizinhistorischen Bezügen“ vom 10. Dezember bis zum 16. Mai 2021 thematisiert die lokalen Strategien der Pandemiebekämpfung in Ingolstadt. Im kuratorischen Prozess war die rasche Entwertung immer neuer Wissensstände zur Covid-19-Pandemie eine stete Begleitung. Die begrenzte Haltbarkeit und der vorläufige Charakter von Wissen zur Pandemie wurden szenografisch wie erzählerisch in der Ausstellung transparent gemacht. Als Ausstellung ist die "Ingolstädter Maskentonne" ein Zwischenstand. Sie verweist auf ihre Nähe zur Gegenwart, indem sie sich von ihr unterscheidet. Für die objektbasierte Vermittlung der (zukünftigen) Geschichte der Covid-19-Pandemie macht sie auf die Rolle von Museen und medizinhistorische Sammlungen aufmerksam.
Susanne Roeßiger
Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden (DHMD) versteht sich heute als ein Forum für aktuelle Fragestellungen, die sich aus den gesellschaftlichen Umwälzungen unserer Gegenwart ergeben. Aktuell und anhand von historischen Perspektiven werden hier Aspekte des menschlichen Lebens wie Körperanatomie, Leben und Sterben, Sexualität und Ernährung behandelt. Das DHMD erlebte seit 1912 wechselnde politische Systeme und war in diesen maßgeblich an Kampagnen beteiligt. Die Austellungsstücke geben somit auch Auskunft über Wissenstand und Auffassungen ihrer Entstehungszeit und lassen einen Wandel in der Wissensvermittlung deutlich werden. Beispielhaft kann dies an der Sexualaufklärung anhand von Körpermodellen nachvollzogen werden. Die Modelle entwickelten sich von solchen, die die Schwangerschaft und Geburt zeigten und damit die Sexualität zwischen Mann und Frau zum Zwecke der Fortpflanzung propagierten, hin zu einer progressiven Sexualaufklärung, die eine Abkehr von dem normativen Zwei-Geschlechter-Modell durch bunte, teils flauschige intergeschlechtliche Genitalorgane zeigt. Ein solcher Wandel ist ebenfalls in der Kommunikation zu sexuell übertragbaren Krankheiten und Ernährungs- kampagnen zu beobachten, welche insbesondere durch Plakate in die Öffentlichkeit gebracht wurden. Im Gegensatz dazu ist in der Geschichte der Impfkampagnen so wenig Wandel zu beobachten, dass ein historischer DDR-Aufklärungsfilm aus dem Jahr 1968 genutzt wird, um für die Corona-Schutzimpfung zu werben.
Uta Schwarz
Die Aufgabe der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ist es, verantwortungsbewusstes und gesundheitsgerechtes Verhalten der Bevölkerung zu förden. Dazu gehören beispielsweise die Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen, die Suchtprävention und die Organspende. Die Strategien, Methoden und Konzepte zur Erfüllung dieser Aufgaben sind im stetigen Wandel. Sie orientieren sich an aktuellen Präventionskonzepten und einem zeitgenössischen themen- und zielgruppenspezifischen Medienmix. Dazu gehören zum Beispiel Ausstellungen, die nicht museal entrückt, sondern in das Setting der Bevölkerung geholt und aufmerksamkeitserregend in Innenstädten und Schulen aufgebaut werden. Während Plakate mit einprägsamen Slogans im Straßenbild für ein unmittelbares Wahrnehmen und Verstehen im Vorbeigehen eingesetzt werden, dienen Printbroschüren der Vermittlung von neuen oder umfangreichen Informationen. Im Gegensatz zu diesen historisch relativ konstanten Medienarten sind audiovisuelle Medien einem stärkeren und ständigem Wandel unterworfen, zu dem seit den 1990er Jahren das Internet hinzukam. Auf die seit den späteren 1980er Jahren in TV und Kino eingesetzten Filmspots folgen im Internetzeitalter nach Zielgruppen ausdifferenzierte Webpräsenzenmit neuen audiovisuellen Formaten. Erklärvideos, Podcast und Kanäle auf Youtube und Instagram sollen vor allem auch jüngere Menschen zeitgemäß ansprechen.
Jana Sandrock
Die Ansprache von gesundheitsrelevanten wie -bezogenen Themen erfolgt heutzutage über die unterschiedlichsten Wege. Innerhalb der Medien stellen klassische Printmedien und Bewegtbildformate derweil die dominierenden Basismedien dar. Auditiven Medien, wie dem Radio oder dem Podcast, wird bisweilen eine vergleichsweise geringe Bedeutung zugesprochen. Einzelne Gesundheitskampagnen zogen in den vergangenen Jahren jedoch auch immer wieder verschiedene Hörmedien in Betracht. Vor diesem Hintergrund widmet sich der nachfolgende Beitrag dem Einsatz von auditiven Medien in der Gesundheitskommunikation. Hierzu wird die historische Entwicklung der ausgewählten Hörmedien skizziert sowie eine Auswahl historischer wie aktueller gesundheitsbezogener Hörformate vorgestellt. Darauf aufbauend wird der Stellenwert auditiver Medien innerhalb der Gesundheitskommunikation diskutiert.
Solveig Lena Hansen
Seit der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes (TPG) im Jahr 1996 werden in Deutschland massenmediale Kampagnen zur Organtransplantation verbreitet. Plakataktionen sind ein wichtiger Teil dieser Kampagnen. In diesem Aufsatz wird die historische Entwicklung der Plakate mittels einer Kontextanalyse rekonstruiert, gestützt durch Expert*inneninterviews und multimodale Inhaltsanalysen. Dadurch werden Veränderungen identifiziert und die Kampagnenlandschaft wird als gewachsene Praxis von Akteuren des Gesundheitssystems reflektiert. Es zeigt sich erstens, dass die Kampagnen eng mit der Entwicklung des deutschen Transplantationswesens verknüpft sind. Ihre Ziele sind erklärungs- bzw. legitimierungsbedürftig: Aus historischer Sicht können sie sich mit ihren Kontexten ändern. Aus ethischer Sicht ist zentral, ob bestimmte Ziele der Kampagnen konfligieren und wie diese Konflikte so gelöst werden können, dass sie möglichst wenig Schaden erzeugen. Es zeigt sich zweitens, dass Akteure auf Zäsuren im Transplantationswesen mit persuasiven Kommunikationsstrategien zur Erhöhung der Organspendebereitschaft reagierten. Zunehmend ist jedoch eine Offenheit in der Wahl der Botschaften zu erkennen und den Plakaten liegt heute die Förderung einer selbstbestimmten und gut informierten Entscheidung zu Grunde – ein zukunftsweisender Weg für das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende, welches 2022 in Kraft getreten ist.