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Jahrestagung der Fachgruppe Gesundheitskommunikation der DGPUK 2020

Hier finden Sie alle Beiträge zur Jahrestagung der Fachgruppe Gesundheitskommunikation der DGPUK 2020.
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Zur Einführung: Risiken und Potenziale in der Gesundheitskommunikation

Charmaine Voigt, Freya Sukalla

Jegliche Form der ge­­sund­­heitsbezogenen und/oder gesundheitsrelevanten Kommunikation impliziert neben intendierten immer auch das Risiko von nicht-intendierten Effekten. Trotz der ethischen Relevanz wird nicht-intendierten Effekten in der Forschung vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Entsprechend folgte der Call zur 5. Jahrestagung der Fachgruppe Gesundheitskommunikation der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft dem Aufruf nach einer stärkeren Berücksichtigung potenzieller nicht-intendierter Effekte. Neben einer thematischen Einführung geben wir hier einen kurzen Überblick über die 15 Beiträge, die beide Perspektiven von Risiken und Potenzialen der Ernährungs- und Gesundheitskommunikation verbinden. 

Die problematische Nicht-Nutzung: Eine Charakterisierung der Vermeider*innen und Nicht-Nutzer*innen von Gesundheitsinformationen

Elena Link

Obwohl die aktive Auseinandersetzung mit Gesundheitsinformationen für den Erhalt der Gesundheit und die Bewältigung einer Erkrankung von Bedeutung ist, reagieren manche Menschen ablehnend auf entsprechende Informationen. So stellen Informationsvermeidung und Nicht-Nutzung alltägliche Kommunikationsphänomene dar, die allerdings bisher vergleichsweise wenig erforscht sind. Um diese Forschungslücke zu schließen, unterscheidet der vorliegende Beitrag zunächst verschiedene Typen des Umgangs mit Gesundheitsinformationen und charakterisiert diese anschließend anhand der Merkmale des Framework of Understanding Information Avoidance Decisions. Die Ergebnisse einer Online-Befragung einer stratifizierten Stichprobe der deutschen Bevölkerung zeigen die stärksten Unterschiede zwischen den Typen mit Blick auf die Persönlichkeitstendenz des Blunting, die wahrgenommene soziale Unterstützung, die Gesundheitskompetenz und das Vertrauen in Informationsquellen. Tendenziell unterscheiden diese Merkmale die Suchenden von den Vermeider*innen und Nicht-Nutzer*innen, während die Vermeider*innen und Nicht-Nutzer*innen nur unzureichend differenziert werden können. Die identifizierten Unterschiede mit Blick auf Bewältigungsressourcen, Fähigkeiten und Einstellungen dienen als erste Anhaltspunkte, welche Barrieren es in der strategischen Gesundheitskommunikation zu überwinden gilt, um die genannten Personengruppen anzusprechen.

Typen des interpersonalen und medialen Kommunikations- und Informationshandelns während der Corona-Pandemie

Elena Link, Magdalena Rosset, Anna Freytag

Die Corona-Pandemie stellt eine Phase der Unsicherheit dar und geht mit Handlungs- und Entscheidungsbedarfen einher, für deren Bewältigung das individuelle Kommunikations- und Informationshandeln eine wichtige Rolle spielt. Dabei ziehen Rezipient*innen situationsbedingt bestimmte Quellen anderen vor und legen beispielsweise unter bestimmten Bedingungen mehr Wert auf interpersonalen Austausch anstelle von medialer Suche. Das Ziel des vorliegenden Beitrags liegt darin, verschiedene Typen des interpersonalen und medialen Kommunikations- und Informationshandelns mit Bezug zur Corona-Pandemie zu identifizieren und ihre Spezifika herauszuarbeiten. Auf Basis 21 leitfadengestützter Interviews, die mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet wurden, konnten je sechs inhaltsbezogene und zwei strategiebezogene Typen des interpersonalen sowie des medialen Kommunikations- und Informationshandelns identifiziert werden. Bei den interpersonalen Typen liegt der Fokus auf Emotionsbewältigung, auf Erfahrungs- oder Informationsaustausch. Sie zeichnen sich durch unterschiedliche Offenheit gegenüber dem Thema aus, während die medialen Typen von konkreten Interessensfeldern und sowohl durch Strategien der aktiven, gezielten Suche als auch der passiven Form des Scanning gekennzeichnet sind. Mit Blick auf die vorliegenden Erkenntnisse zeigt sich für die frühe Phase der Pandemie ein hohes Informationsbedürfnis und eine umfassende, auch selektive und kritische Rezeption medialer Inhalte und eine durch emotionale und informationelle Unterstützung geprägte Art des persönlichen Austauschs im sozialen Umfeld.

Eine Typologie des Informationsverhaltens der Deutschen in der Corona-Pandemie unter Berücksichtigung von Themenverdrossenheit

Anne Reinhardt, Janine Brill, Constanze Rossmann

Gesundheitskrisen wie die Corona-Pandemie verlangen einen steten Informationsfluss ausgehend von offiziellen Behörden über die Medien zu den Bürger*innen, um einerseits Panik zu vermeiden und andererseits relevante Informationen zu den aktuellsten Schutzmaßnahmen an die Bevölkerung zu distribuieren. Ausschlaggebend für den Erfolg dieser Kommunikationsmaßnahmen ist jedoch die individuelle Bereitschaft, die bereitgestellten Informationen auch zu rezipieren. Einem Repertoire-Ansatz folgend erforscht die Studie bestehende Muster im Informationsverhalten der Deutschen zu Beginn der Pandemie sowie deren Veränderungen zwischen März und April 2020. Sie untersucht weiterhin, welche Bedeutung soziodemografische Merkmale sowie individuelle, mit der intensiven Berichterstattung in Verbindung stehende Faktoren (Themenverdrossenheit, wahrgenommene Informiertheit) für die Informationssuche haben. Eine zweiwellige Online-Befragung im Panel-Design (N  = 1065) diente der Beantwortung dieser Fragen. Im Zuge der Analysen konnten drei zentrale Nutzungstypen mit unterschiedlichen Informationsrepertoires identifiziert werden: Wenignutzende, Traditionalist*innen und Vielnutzende, wobei die Themenverdrossenheit den zentralen Faktor für die Erklärung von Informationsvermeidung darstellt. Dies wirft die Frage auf, wie intensiv die Berichterstattung über ein Thema sein sollte, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Informationsbedürfnis und Informationssättigung zu erreichen.

„Selbst schuld!“ – Stigmatisierung von COVID-19-Erkrankten und der Einfluss des individuellen Informationshandelns

Anna Freytag, Elena Link, Eva Baumann

Vom neuartigen Coronavirus betroffene Menschen berichten von Beschimpfungen auf offener Straße, Hassmails und Nachbar*innen, die auf Distanz gehen. Sowohl die Angst vor dem Ungewissen als auch vor Ansteckung und der damit verbundenen Mortalität, führen dazu, dass Betroffene von Infektionskrankheiten wie COVID-19 vorverurteilt, ausgegrenzt, diskriminiert und somit stigmatisiert werden. Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie stark die Stigmatisierung von COVID-19-Erkrankten in Deutschland ausgeprägt ist und welche Faktoren die Stigmatisierung beeinflussen. Hierzu wurden im April 2020 997 Menschen in Niedersachsen mittels eines Online-Panels befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Stigmatisierung insgesamt eher gering ausgeprägt ist. Im Vergleich der Stigma-Komponenten fällt die Tendenz zu diskriminierendem Verhalten am stärksten aus. Zudem zeigte sich, dass Männer im Vergleich zu Frauen sowie Personen mit höherer Risikowahrnehmung zu einer stärker stigmatisierenden Haltung tendieren. Unter den kommunikationsbezogenen Einflussfaktoren zeigte sich, dass die Nutzung softer und sozial eingebetteter Nachrichtenquellen, wie Boulevardzeitungen oder Influencer*innen, mit einer stärkeren Stigmatisierung, die Nutzung traditioneller Nachrichtenquellen, wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, hingegen mit einer geringeren Stigmatisierung von Corona-Betroffenen einhergeht.

Zwischen Fomo und Selbstoptimierung: Unerwünschte gesundheitsrelevante Folgen von (Medien-)Kommunikation im digitalen Medienalltag

Anna Wagner

In diesem Beitrag werden die unerwünschten gesundheitsrelevanten Konsequenzen von (Medien-)Kommunikation aus einer lebensweltlichen Perspektive heraus beforscht. In einer qualitativen Studie mit 38 Teilnehmer*innen, in der Interviews mit Gesundheitstagebüchern kombiniert wurden, wurde danach gefragt, wie Menschen diese negativen Folgen in ihrem zunehmend digital gewordenen Medienalltag wahrnehmen, in welchem Verhältnis die einzelnen unerwünschten Folgen zueinanderstehen und welche Coping-Strategien Individuen entwickeln, um damit umzugehen bzw. diese abzuschwächen. Die Ergebnisse zeigen, dass ganz unterschiedliche unerwünschte Folgen von (Medien-)Kommunikation für die Gesundheit in den Lebenswelten von Menschen zusammenspielen. Diese sind (1) auf Ebene der Medieninhalte und -darstellungen, (2) auf Ebene der Mediennutzung, (3) auf Ebene der interpersonalen Kommunikation und sozialer Beziehungen sowie (4) auf Ebene der sozialen Erwartungen und Normen zu verorten.

Ist Geben seliger denn Nehmen? Zusammenhang des Austausches sozialer Unterstützung online mit der Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse

Paula Stehr

Dieser Beitrag betrachtet den Zusammenhang von sozialer Unterstützung, im Sinne tatsächlicher Unterstützungsleistungen, und der Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse. Die Erforschung sozialer Unterstützung in Online-Kommunikationsmodi fokussiert bisher vor allem die Perspektive der Unterstützungsempfänger*innen. Tatsächlich hat die geleistete Unterstützung jedoch einen größeren Anteil an der Online-Kommunikation als die Suche danach. In der vorliegenden Studie werden deshalb beide Seiten unterstützender Interaktionen berücksichtigt. Das angenommene Modell wurde anhand von Befragungsdaten zur Nutzung von Online-Foren zum Thema Elternschaft (n = 332) und mentale Gesundheit (n = 138) geprüft. Eine Strukturgleichungsanalyse nach dem PLS-Ansatz zeigt, dass sowohl die empfangene als auch die geleistete Unterstützung, zum Teil mediiert über deren Effektivität, zur Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse beitragen konnte. Der Zusammenhang mit der geleisteten Unterstützung ist dabei stärker als jener mit der empfangenen Unterstützung. Wissenschaftliche Implikationen für die Erforschung sozialer Unterstützung und praktische Implikationen für Online-Interventionen werden diskutiert.

Tabakkonsum on- und offline: Der Einfluss der Instagram- und Snapchat-Nutzung auf normative Vorstellungen und das Konsumverhalten unter Jugendlichen

Tobias Frey, Thomas N. Friemel

Der Tabakkonsum bleibt eine der verbreitetsten vermeidbaren Todesursachen weltweit und die Klärung der Hintergründe für den Einstieg unter Jugendlichen ist deshalb weiterhin von großem Interesse. Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei der Rolle des sozialen und medialen Umfelds zu. Im Kontext neuer Interaktionsstrukturen auf sozialen Medien wird zunehmend die Notwendigkeit erkannt, auch komplexere Wirkungsmechanismen zu berücksichtigen. Diese Studie folgt diesem Ansatz und untersucht, wie Rezeption und Produktion tabakbezogener Inhalte auf sozialen Medien normative Vorstellungen und Konsumverhalten unter Jugendlichen beeinflussen. Dazu wurde eine zweiwellige Panelstudie (N = 893) an vier Schweizer Gymnasien durchgeführt. Einerseits zeigte sich, dass die wahrgenommene Prävalenz und Akzeptanz des Tabakkonsums positiv mit dem wahrgenommenen Konsum auf Instagram zusammenhängen. Andererseits ließ sich der Tabakkonsum selbst sowohl mit normativen Vorstellungen als auch mit der Produktion von entsprechenden Inhalten auf Snapchat erklären. Der Beitrag diskutiert die unterschiedliche Rolle der Plattformen bezüglich Rezeptions- und Produktionseffekten und die Relevanz von normativen Vorstellungen als Mediatoren im Medienwirkungsprozess.

Intendierte und nicht-intendierte Wirkungen von Gewinn- und Verlust-Frames in Tabakpräventionskampagnen

Claudia Poggiolini

Die Wirksamkeit von Furchtappellen in Tabakpräventionskampagnen ist umstritten: Solche Verlust-Frames, welche die Gesundheitsfolgen des Rauchens darstellen, erhöhen nicht nur die Gefährdungswahrnehmung und fördern damit die Absicht zum Rauchstopp, sondern können auch Reaktanz generieren. Aus diesem Grund werden vermehrt Inhalte gezeigt, die darstellen, welche Vorteile ein Rauchstopp mit sich bringt (i.e., Gewinn-Frames). Die vorliegende Studie hatte zum Ziel, die Wirksamkeit von Gewinn- und Verlust-Frames in einer Tabakpräventionskampagne direkt zu vergleichen und dabei die Abhängigkeit der Rauchenden zu berücksichtigen. Es zeigte sich wie erwartet, dass ein Gewinn-Frame bei stark Abhängigen im Gegensatz zu schwach Abhängigen die Gefährdungswahrnehmung erhöhte und dadurch deren Absicht zum Rauchstopp stärkte. Bezüglich der Reaktanz wurden jedoch keine Unterschiede gefunden. Zudem führte keine der beiden Varianten bei schwach Abhängigen zu einer höheren Absicht zum Rauchstopp. Die Ergebnisse werden diskutiert und Implikationen für Tabakpräventionskampagnen werden abgeleitet. 

HPV-Impfverhalten erklären: Die Rolle von individuellen Werten in der Theory of Planned Behavior

Winja Weber, Constanze Rossmann

Die HPV-Impfquote in Deutschland ist deutlich zu gering, weshalb neue evidenz-basierte Kommunikationsstrategien gefordert werden. Eine Möglichkeit zur Steigerung von Impfquoten bietet die Ansprache individueller Werte, da diese, wenn sie als Bezugsrahmen aufgespannt werden, die Wahrnehmung, Meinung und Einstellung zu einer Thematik beeinflussen können. Die vorliegende Studie entwickelte daher ein Modell, das individuelle Werte in die Theory of Planned Behavior integriert, um wichtige Werte im HPV-Impfkontext zu identifizieren. Zur Modell-Überprüfung wurde eine Online-Umfrage unter Eltern (N = 245) durchgeführt. Die Ergebnisse einer Strukturgleichungsmodellierung zeigen, dass Personen, die Machtwerte als wichtig empfanden, eine negativere Einstellung zur HPV-Impfung aufwiesen, was wiederum zu einer schwächeren Impfintention führte. Dies deutet darauf hin, dass Eltern ihre Kinder mitunter deshalb nicht impfen lassen, weil sie unerwünschte Impfreaktionen nicht kontrollieren können. Die Integration von Machtwerten in Impfinformationen kann somit einen Mehrwert bieten, um impfkritische Eltern von der HPV-Impfung zu überzeugen.

Verantwortungsattribution als Wirkung von Responsibility Frames. Eine Experimentalstudie unter Berücksichtigung der sozialen Netzwerkebene

Linn Julia Temmann1, Annemarie Wiedicke1, Doreen Reifegerste1, Sebastian Scherr2

Responsibility Frames in der Gesundheitsberichterstattung können die Verantwortungsattributionen der Rezipierenden und somit die öffentliche Meinung zu Gesundheitsthemen wie Diabetes oder Depression beeinflussen. In den Medien wird häufig die individuelle Verantwortung für Gesundheit betont, obwohl die epidemiologische Forschung verstärkt auf Einflüsse der Gesellschaft und insbesondere des sozialen Netzwerks verweist. Während Experimentalforschung zu Responsibility Frames auf den Ebenen des Individuums und der Gesellschaft vorhanden ist, werden Frames und Attributionen auf Ebene des sozialen Netzwerks bislang jedoch außer Acht gelassen. Die Ergebnisse eines repräsentativen Online-Experiments (N = 1.088) bestätigen Befunde vorheriger Experimente zur Wirkung von Individualframes und erweitern diese um die Ebene des sozialen Netzwerks. Frames auf Ebene des Individuums und des sozialen Netzwerks führten jeweils zu mehr Attributionen zum Individuum bzw. zum sozialen Netzwerk. Ein Frame, der die gesellschaftliche Verantwortung betont, löste hingegen komplexere Attributionsmuster aus. Implikationen dieser Ergebnisse werden hinsichtlich der Medienberichterstattung zu Gesundheitsthemen und der Forschung zum Responsibility Framing diskutiert.

Mehr Infektionsschutz durch Health-Nudging? Eine experimentelle Untersuchung der Wirkung von Nudges auf die Nutzung von Desinfektionsmittelspendern

Janine Brill1, Dominik Daube2

Die effektive Umsetzung von Hygienemaßnahmen hat in Zeiten der vermehrten Verbreitung von Viren, vor allem in der Grippezeit (in den Wintermonaten) und angesichts der aktuellen COVID-19-Pandemie, an Relevanz gewonnen. Insbesondere im öffentlichen Raum ist es wichtig, Individuen verstärkt zur Nutzung von Desinfektionsmittelspendern zu motivieren, um das Infektionsrisiko zu verringern. Mithilfe eines präregistrierten Experiments wurde im Rahmen der vorliegenden Studie untersucht, ob der Einsatz rein visueller und visuell-informativer Nudges sowie deren parallele Anwendung zu einer Steigerung der Nutzung von Händedesinfektionsmittelspendern in öffentlichen Einrichtungen führt. Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass die eingesetzten Nudges einen positiven Effekt auf die Nutzung von Desinfektionsmittelspendern haben. Insbesondere die zeitgleiche Anwendung der Nudges führte zu einer deutlichen Steigerung der Nutzer*innenzahlen.

Zucker in der präventiven Ernährungskommunikation: Eine experimentelle Studie zum Zusammenspiel von Message Framing und dem regulatorischen Fokus

Melanie Bößenecker1, Jens Vogelgesang2

Eine der zentralen Fragestellungen in der Gesundheitskommunikation betrifft die Wirksamkeit von Interventionsmaßnahmen. In dieser Studie (N = 424) wurde das Zusammenspiel von Message Framing (Kahneman & Tversky, 1979; Rothman & Salovey, 1997; Tversky & Kahneman, 1981) als Botschaftsmerkmal und dem regulatorischen Fokus (Higgins, 1997, 1998) als Rezipierendenmerkmal in der präventiven Ernährungskommunikation zu Zucker in verarbeiteten Lebensmitteln experimentell untersucht. Die Ergebnisse legen nahe, dass der Promotion-Fokus ein positiver Prädiktor von unmittelbaren Persuasionseffekten ist. Zudem erwies sich der Verlust-Frame bei Prevention-Fokussierten als persuasiver (Prevention-Fit). Insofern kann die Wirksamkeit von Ernährungskommunikation von Kongruenzeffekten durch regulatorischen Fit (Higgins, 2000, 2005) profitieren.

Nicht-intendierte Stigmatisierung durch Ursachenzuschreibungen am Beispiel ADHS

Johannes Zensen, Alexander Röhm

Die Stigmatisierung von Kindern mit Verhaltens- und emotionalen Störungen wie ADHS stellt immer noch eine große Barriere für einen adäquaten Zugang zur Bildung dar. In diesem Kontext spielen die Einstellungen von Lehrkräften gegenüber diesen Kindern eine wichtige Rolle, da sie die Chancen für eine erfolgreiche inklusive Bildung für die betroffenen Kinder erhöhen. Vor diesem Hintergrund stellen Stigmatisierungseffekte durch Ursachenzuschreibungen in Fallbeispielen ein relevantes Ziel für die Anti-Stigma- und Gesundheitskommunikation dar. Ursachenzuschreibungen in Fallbeispielen, wie sie in vielen medialen Beiträgen vorkommen, können Einstellungen gegenüber stigmatisierten Personengruppen sowohl positiv als auch negativ beeinflussen. Basierend auf der exemplification theory (Zillmann & Brosius, 2000) und dem Mixed-Blessings Modell (Haslam & Kvaale, 2015) wurde in einem 3 × 2 Online-Experiment untersucht, wie biologische, psychosoziale und bio-psychosoziale Ursachenzuschreibungen für eine ADHS in Fallbeispielen betroffener Kinder stigmarelevante Einstellungen von Lehramtsstudierenden gegenüber Kindern mit ADHS beeinflussen. Biologische Ursachenzuschreibungen im Vergleich zu psychosozialen Ursachenzuschreibungen verringerten die soziale Distanz gegenüber Kindern mit ADHS, während bio-psychosoziale Ursachenzuschreibungen positivere Einstellungen zur schulischen Inklusion von Kindern mit ADHS hervorriefen als psychosoziale Ursachenzuschreibungen. Die Implikationen dieser Ergebnisse für die strategische Anti-Stigma- und Gesundheitskommunikation werden diskutiert.

Nicht-intendierte Fallbeispiel-Effekte in der Gesundheitskommunikation: Negative Emotionen und Stigmatisierung im Kontext der Pränataldiagnostik

Michélle Möhring, Alexander Röhm, Cosima Nellen, Matthias R. Hastall

In der Gesundheitskommunikation werden Fallbeispiele eingesetzt, um Aufmerksamkeit für Gesundheitsbotschaften zu fördern und Gesundheitsverhalten zu beeinflussen. Das gesundheitsbezogene Thema der Pränataldiagnostik ist eng mit anderen kontroversen Themen wie Schwangerschaftsabbrüchen verknüpft und insbesondere mit der Genommutation Trisomie 21 assoziiert. In der vorliegenden Studie wird untersucht, inwiefern Fallbeispiele im Kontext der Pränataldiagnostik nicht-intendierte Effekte wie negative Emotionen und generalisierte Stigmatisierung von Menschen mit Trisomie 21 auslösen. In einem 2 × 2 × 3-Online-Experiment lasen 958 Teilnehmende einen randomisiert zugeteilten Medienbericht über Pränataldiagnostik, der durch das Fallbeispiel einer schwangeren Frau gerahmt wurde. Die Fallbeispiele wurden hinsichtlich des Alters, des Familienstandes und der Vorerfahrungen mit Trisomie 21 manipuliert. Darstellungen von älteren und alleinstehenden Frauen sowie die Kombination vermeintlich „ungünstiger“ Schwangerschaftsbedingungen riefen vermehrt negative Emotionen hervor. Die generalisierte Stigmatisierung von Menschen mit Trisomie 21 wurde durch das Alter des Fallbeispiels direkt beeinflusst. Ferner zeigte sich ein signifikanter Effekt des Geschlechts der Teilnehmenden auf die negativen emotionalen Reaktionen und die generalisierte Stigmatisierung von Menschen mit Trisomie 21. Implikationen zur Vermeidung nicht-intendierter Fallbeispieleffekte im Kontext der Pränataldiagnostik werden diskutiert.

Nicht-intendierte Effekte in der Suizidberichterstattung: Der Einfluss von Fußnoten auf die journalistische Qualitätswahrnehmung von Suizidartikeln

Katharina Frehmann1, Markus Schäfer2

Jährlich sterben in Deutschland mehr als 9.000 Menschen durch Suizid. Zu den wichtigsten Präventionsmaßnahmen zählt die Weltgesundheitsorganisation unter anderem auch eine verantwortungsvolle Suizidberichterstattung und bezieht sich damit auf Erkenntnisse zum „Werther-” bzw. „Papageno-Effekt“, wonach Suizidberichterstattung zur Entstehung bzw. Verhinderung weiterer Suizide beitragen kann. In der aktuellen Suizidberichterstattung fallen vermehrt Fußnoten am Ende von Artikeln auf, die präventive Hinweise zu Hilfsangeboten bei Suizidgedanken und zur Gefahr von Nachahmungssuiziden enthalten. Allerdings finden sich solche Hinweise auch unter Beiträgen, die wesentliche Elemente aus Suizidpräventionsrichtlinien missachten und somit möglicherweise einen Ersatz für eine dezidierte Auseinandersetzung mit diesen Richtlinien darstellen. In einem Online-Experiment (2x2) bewerteten 212 Journalist*innen in außerredaktioneller Ausbildung einen fiktiven Online-Artikel über einen Prominentensuizid, der im Vorkommen einer Fußnote und der Konformität zu WHO-Richtlinien für Suizidberichterstattung variiert wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass der richtlinienkonforme Artikel als sachlicher eingeschätzt wurde, die Fußnote allerdings nicht zum Informationsgehalt beitrug. Für die Publikationsentscheidung des Artikels konnte eine Interaktion festgestellt werden, die aufzeigte, dass unter den Artikeln ohne Fußnote der richtlinienkonforme Artikel eher publiziert werden würde, sich die Artikel mit Fußnote allerdings nicht in der Publikationsentscheidung unterscheiden. Dementsprechend stellt sich die Frage, ob Fußnoten in Redaktionen habitualisiert oder automatisiert als Rechtfertigung von Suizidartikeln verwendet werden, ohne die Hintergründe und Präventionsziele zu kennen.