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Wer macht wen für Gesundheit (und Krankheit) verantwortlich?

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Gesundheitskommunikation(sforschung) zu Fragen der Verantwortungszuschreibung. Beiträge zur Jahrestagung der Fachgruppe Gesundheitskommunikation 2022

Doreen Reifegerste, Petra Kolip und Anna Wagner

Pflicht, Schuld, schlechtes Gewissen, aber auch Fürsorge und Solidarität sind Begriffe, die häufig im Zusammenhang mit Gesundheit und Krankheit auftauchen. Sie sind eng mit dem Konzept Verantwortung verbunden, welches für das Gesundheitsverhalten einer der zentralen Treiber ist. Für den Erfolg von gesundheitsbezogenen Veränderungsprozessen (sowohl bei Individuen als auch gesamtgesellschaftlich) ist aber nicht nur wesentlich, wer und was für die Ursachen, die Prävention oder die Heilung verantwortlich ist, sondern vielmehr, wem diese Verantwortung zugeschrieben wird, d. h. welche Wirklichkeitskonstruktionen oder Frames in Mediendarstellungen, Gesprächen oder politischen Stellungnahmen damit verbunden sind. Vor diesem Hintergrund lautete der Tagungstitel der 7. Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Gesundheitskommunikation „Wer macht wen für Gesundheit (und Krankheit) verantwortlich?“ Sie fand vom 16. bis 18. November 2022 als Hybridtagung an der Universität Bielefeld statt. Neben einer thematischen Einführung geben wir hier einen kurzen Überblick über die 16 Beiträge, die uns einerseits Erkenntnisse über diese Fragen der Verantwortungsattributionen zu vermitteln, andererseits aber auch weitere Themen der Gesundheitskommunikation (wie z. B. interdisziplinäre Lehre) aufgreifen.

Verleiht Flügel? Wirkung von Warnhinweisen auf Energydrink-Dosen

Moritz Hölzer, Cosima Nellen & Matthias R. Hastall

Warnhinweise auf Lebensmittelverpackungen sind eine vergleichsweise kostengünstige und aufmerksamkeitsstarke Möglichkeit, um die gesundheitlichen Risiken des Konsums aufzuzeigen. Von welchen Aspekten es abhängt, ob und in welchem Ausmaß Warnhinweise intendierte sowie unbeabsichtigte Effekte hervorrufen, ist bislang weitgehend unbekannt. Die vorliegende Studie untersucht die Wirkung von Warnhinweisen auf Energydrink-Dosen und damit bei einem Produkt, das bislang ohne einen auffälligen Warnhinweis bezüglich möglicher gesundheitlicher Risiken aufgrund des hohen Koffein- und Zuckergehalts verkauft wird. In einem 2×2-Online-Experiment (plus Kontroll- gruppe) sahen 222 Teilnehmende eine randomisiert zugeteilte fiktive Energydrink-Getränkedose. Experimentell variiert waren das Vorhandensein vs. Fehlen eines Warnhinweises, dessen farbliche Darstellung und das darauf thematisierte Gesundheitsrisiko. Die Befunde zeigen, dass der initiale Kontakt mit Warnhinweisen bei Rezipierenden Widerstand (Reaktanz) auslöst, aber nicht notwendigerweise die beabsichtigten gesundheitsförderlichen Einstellungs- oder Verhaltensintentionen. Die Wirkung des Warnhinweises war unabhängig von der Farbgebung, die thematisierte Konsequenz Übergewicht bewirkte jedoch einen geringeren intendierten Konsum als die Konsequenz Herzprobleme. Limitationen und Implikationen zum Einsatz von Warnhinweisen werden diskutiert.

Ich, du, wir? Empowerment als relevantes Konstrukt im Gesundheitskontext

Isabell Koinig & Sara Atanasova

Ein wichtiges Ziel der Gesundheitskommunikation ist das Empowerment von Individuen durch die Bereitstellung von Information, sowie deren Beeinflussung von und Einbindung in Gesundheitsentscheidungen. Dabei wird das Empowerment-Konzept oft aus der individuellen Perspektive betrachtet. Diese Perspektive vernachlässigt aber die Multidimensionalität und Vielschichtigkeit des Konzepts, denn individuelles Empowerment stellt bspw. auch eine wichtige Voraussetzung für Gruppenempowerment oder kollektives Empowerment dar, da Einzelpersonen immer auch Mitglieder verschiedenster Gruppen sind. Dieser Aspekt soll daher im vorliegenden Beitrag vertiefend thematisiert werden. Dafür möchten wir die Ergebnisse einer systematischen Literaturrecherche von Studien aus den letzten 20 Jahren vorstellen, die sich mit dem Konzept von Empowerment im Bereich der Gesundheitskommu- nikation befassen. Die Ergebnisse unseres Reviews zeigen auf, dass einige allgemeinere Begriffsdefinitionen nach wie vor verwendet werden, jedoch auch eine Tendenz zu spezielleren Definitionen erkennbar ist. Brücken zu neueren Konzepten, wie health literacy oder digitalen Medien stellen noch nicht die Norm dar. Zudem wird auch der Zusammenhang zwischen individuellem und kollektiven Empowerment häufig vernachlässigt.

Der Blick über den Tellerrand – Chancen, Herausforderungen und Zielgrößen guter Lehre in der Gesundheitskommunikation

Dominik Daube, Alexander Ort, Freya Sukalla, Anna Wagner & Doreen Reifegerste

Der vorliegende Beitrag führt in die akademische Lehre in der noch jungen und sich zunehmend etablierenden Disziplin der Gesundheitskommunikation ein. Dabei werden zentrale Herausforderungen und Chancen im Lehrkontext adressiert – auf struktureller Ebene (Lehrsettings) sowie hinsichtlich der zu vermittelnden Theorien und Methoden – um die zentrale Frage zu beantworten: Wie müsste gute Lehre in der Gesundheitskommunikation gestaltet sein? Als Maßnahmen werden u. a. die Erarbeitung einer einheitlichen modularen curricularen Struktur, die Einrichtung eines Lehr-Repositoriums sowie die inter- und transdisziplinäre Vernetzung vorgeschlagen, die in einer neugegründeten AG ‚Lehre‘ der DGPuK-Fachgruppe Gesundheitskommunikation umgesetzt werden sollen. 

Irresponsible Memes? Psychische Erkrankungen, Betroffene und gesellschaftliche Bewertungen in ‚Depression Memes‘ auf Instagram

Anna Wagner & Linn Julia Temmann

Psychische Erkrankungen werden im digitalen Zeitalter in verschiedenen Medien thematisiert. Dies gilt auch für humoristische Social-Media-Inhalte wie die sogenannten Depression Memes – Memes, die sich mit Themen wie Suizid, Sterben oder Depression befassen. Während die Wirkungen von Depression Memes bereits punktuell untersucht wurden, sind die konkreten Inhalte bislang kaum in den Blick genommen worden. In einer qualitativen Inhaltsanalyse von 400 unter dem Hashtag #depressionmemes geposteten Memes auf Instagram untersuchten wir daher, wie 1) die psychische(n) Erkrankung(en), 2) von der Erkrankung Betroffene und 3) potentiell wirksame Gegenmaßnahmen darin dargestellt werden. Die Ergebnisse zeigen, dass die psychischen Erkrankungen gleichzeitig als unkontrollierbarer Akteur und als integraler Bestandteil der eigenen Identität dargestellt werden. Die Betroffenen selbst werden entsprechend als kontrolliert und für ihr Handeln nicht verantwortlich porträtiert. Zudem wird in den Memes sowohl die unrealistische Erwartungshaltung an die Betroffenen als auch gesellschaftliche Fehlwahrnehmungen und -vorstellungen der psychischen Erkrankungen kritisiert. Potenzielle Gegenmaßnahmen wie Medikamente oder Therapien werden als größtenteils wirkungslos, unzulänglich und sogar kontraproduktiv präsentiert. Der Beitrag diskutiert auf Basis dieser Ergebnisse die möglichen kurz- und langfristigen Implikationen der Nutzung von Depression Memes für die Betroffenen.

„Dass es eben nicht so einfach ist für Leute mit einer Angststörung“ Entstigmatisierung von Angststörungen mittels Perspektivübernahme in Videospielen

Celine Dorrani & Freya Sukalla

Psychische Erkrankungen wie Angststörungen sind in der Öffentlichkeit noch immer stark stigmatisiert. Eine Strategie der Stigmatisierung entgegenzuwirken, ist das Fördern der Perspektivübernahme, bei der Individuen aktiv die Perspektive einer stigmatisierten Person einnehmen und sich bestimmte Situationen aus dieser heraus vorstellen. Videospiele, bei denen die Avatare mit psychischen Erkrankungen konzipiert werden, ermöglichen Spielenden aktiv Erfahrungen aus dieser Perspektive heraus zu machen. Ziel dieser Studie ist es, die Perspektivübernahme beim Spielen eines Videospiels mit einer Hauptfigur mit Angststörung zu untersuchen und im Hinblick auf die (Ent-)stig- matisierung von Menschen mit Angststörungen zu analysieren. Hierfür wurden 21 fokussierte Leitfadeninterviews durchgeführt, bei denen die Teilnehmenden gebeten wurden, das Puzzle-Adventure Spiel Fractured Minds (2019), welches Angststörung zentral als Erkrankung des zu steuernden Avatars aufgreift, zu spielen. Die Ergebnisse zeigen, dass das Spiel die Symptome und Herausforderungen von Menschen mit Angststörungen transportieren kann. Vor allem die Spielmechaniken regen dabei die Perspektivübernahme an. Bei bewusster Perspektivübernahme von Personen mit Angststörungen trägt Fractured Minds zu wissensbasierter und emotionaler Aufklärung bei. Gleichzei- tig kann das Spiel falsche Vorstellungen der Krankheit erzeugen oder bereits vorherrschende falsche Vorstellungen bestätigen und so Stigmatisierung verstärken.

Instagram for #recovery – Eine qualitative Befragung von Bloggerinnen mit Essstörungen

Anne Kraemer, Freya Sukalla & Anne Bartsch

Immer mehr Menschen mit Essstörungen teilen ihren Genesungsweg in Recovery Accounts auf Instagram. Welche Motive hinter der Veröffentlichung stehen, in welcher Rolle sich die Blogger:innen sehen und inwieweit das Führen eines Recovery Accounts aus ihrer Sicht mit dem Genesungsprozess zusammenhängt, stellt eine Forschungslücke dar. Um diese zu füllen, wurden Leitfadeninterviews mit zehn Recovery Bloggerinnen geführt. Die Daten wurden durch eine inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass die Bloggerinnen den Account vor allem aufgrund von selbstbezogenen Motiven führen, z. B. zum Identitäts- oder Krankheitsmanage- ment. Mit der Zeit gewinnen auch fremdbezogene Motive an Relevanz, z.  B. um die Aufklärung Anderer über Ess- störungen zu unterstützen. Das Rollenbild der Bloggerinnen wird vor allem durch ihre persönlichen Erwartungen an Ästhetik, Inhalt, Erfolg und Qualität des Accounts geprägt, wodurch Überschneidungen zum Rollenbild von Influencer:innen erkennbar werden. Den Account zu führen, hat aus Sicht der Bloggerinnen überwiegend positiven Einfluss auf ihre Krankheitsbewältigung und ihre psychische Gesundheit. Triggernde oder kritische Rückmeldungen können den Genesungsprozess hingegen auf negative Weise beeinflussen. Die Studie verdeutlicht, wie Essstörungen in Sozialen Medien verhandelt werden und dass solche Plattformen für den Umgang mit der Erkrankung von hoher Relevanz sind.

Systemische Aufstellungen als Methode zur Erforschung und Vermittlung sozialer Kontexte im Gesundheitsbereich

Anne-Kathrin May & Doreen Reifegerste

Aufstellungen sind eine zentrale Methode systemischer Beratungs- und Therapiearbeit, um die Interaktionen im sozialen Kontext z. B. von Patient:innen aufzuzeigen. Der Beitrag schlägt eine Brücke von diesen personen- bezogenen Aufstellungen zur analytischeren Anwendung der Aufstellungen für Lehre und Forschung in der Gesundheitskommunikation. Die Autorinnen geben dafür zunächst eine Einführung in die Erforschung sozialer Kontexte in der Gesundheitskommunikation sowie in die Grundlagen systemischer Aufstellungsarbeit. Anhand eines konkreten Falls wird dann die Praxis einer Aufstellung und deren Erkenntnisgewinn für Gesundheitskommu- nikationspraxis umrissen. Darauf aufbauend folgt ein Ausblick, der aufzeigt, wie die Aufstellungsarbeit in der Lehre und Forschung der Gesundheitskommunikation eingesetzt werden kann, um bspw. die sozialen Kontexte in Gesprächen und für Kommunikationsangebote besser wahrnehmen und in Projekten und für Evaluationen besser erheben zu können.

Methodische Herausforderungen der Partizipativen Gesundheitsforschung: Reflexionen aus zwei Praxisprojekten

Hanna Lütke Lanfer & Janna Landwehr
(geteilte Erstautor:innenschaft)

Partizipative Forschung überschreibt eine Reihe von Ansätzen, deren Grundprinzip es ist, gemeinsam ‚mit‘ jenen Personen in Forschungsprozessen zusammenzuarbeiten, die aufgrund bisheriger wissenschaftlicher Erkenntnisse oder Annahmen besonders von Forschungsergebnissen und passgenauen Interventionen profitieren würden. Partizipative Gesundheitsforschung wird nicht ‚an‘ den Menschen durchgeführt, sondern strebt die Umverteilung von Machtverhältnissen hin zu einer Gleichberechtigung zwischen verschiedenen Personengruppen, Perspektiven und Fähigkeiten an, ohne ein spezifisches methodisches Vorgehen vorzugeben. Bestehende Machtungleichheiten zwischen Akteur:innen aufgrund ökonomischer, qualifikatorischer, institutioneller und (berufs-)politischer Unterschiede und damit einhergehende notwendige Verhandlungen führen zu Herausforderungen in der Umsetzung. Dies zeigt sich besonders an drei Punkten im Forschungsprozess: a. Ein- und Ausschluss von Beteiligten; b. Umgang mit Ressourcen und Erwartungen unterschiedlicher Gruppen; sowie c. Teilhabe an Entscheidungen. Der Beitrag illustriert diese drei Herausforderungen und Ansätze zu ihrem Umgang anhand von zwei Fallbeispielen. Damit soll deutlich werden, dass Partizipative Gesundheitsforschung kontinuierliche, offene und bisweilen unangenehme Auseinandersetzungen und Reflexionen über Ressourcen, Privilegien, Erwartungen und soziale Normen erfordert. Nur so kann sie ihrem Anspruch auf Teilhabe in der Wissensproduktion gerecht werden.

Die Rolle journalistischer Medieninformationen in einer Krise am Beispiel der COVID-19-Pandemie. Eine repräsentative Online-Befragung.

Dominik Daube, Georg Ruhrmann & Carolin Wehrstedt

In einer Krise, wie der COVID-19-Pandemie, ist die Verbreitung aktueller Ereignisse und evidenzbasierter Maßnah- men essenziell. Diese müssen zügig und korrekt kommuniziert werden, gerade journalistische Massenmedien haben dabei eine Schlüsselrolle. Es ist daher wichtig zu verstehen, wie sich die Bevölkerung informiert und wie einzelne Informationsanbietende bewertet werden. Bisher wurden genutzte Informationsquellen häufig isoliert betrachtet. Der Einfluss von wahrgenommener Glaubwürdigkeit und Qualität der Informationsanbietenden auf die Bereitschaft, pandemiebezogene Maßnahmen umzusetzen, wurde kaum analysiert. Die vorliegende Studie untersucht das Informationsverhalten in der Pandemie – unter Berücksichtigung journalistischer Medienformate – und inwiefern die Anbietendenbewertung die Maßnahmenakzeptanz beeinflussen könnte. Eine repräsentative Online-Befragung (N = 608) Anfang 2022 zeigt, dass journalistisch vermittelte Informationen mit Abstand häufigste und knapp hinter der Wissenschaft wichtigste Informationsquelle in der Pandemie sind, wenngleich die Qualität journalistischer Informationen nur knapp überdurchschnittlich eingeschätzt wird. Informationen von Politiker:innen werden qualitativ schlechter eingeschätzt. Gleichzeitig zeigt sich nur für die durch Politiker:innen kommunizierten Informationen ein signifikanter Zusammenhang zur affektiven Pandemiebewertung, welche mit der Bereitschaft, pandemiebezogene Maßnahmen umzusetzen, zusammenhängen könnte.

Responsibility Frame Setting im Gesundheitskontext: Eine Mehrmethodenstudie am Beispiel von Depression und Typ-2-Diabetes.

Linn Julia Temmann, Annemarie Wiedicke, Doreen Reifegerste & Sebastian Scherr

Responsibility Framing in der medialen Berichterstattung zu Gesundheitsthemen beeinflusst potenziell die Vorstellungen des Publikums darüber, wer für Ursachen und Lösungen von Gesundheitsproblemen verantwortlich ist. In der bisherigen Forschung hierzu wurden Frame-Inhalte und Framingeffekte zumeist getrennt voneinander untersucht. Mit einem multimethodischen Forschungsdesign bestehend aus 1) einer quantitativen Inhaltsanalyse von N = 1.044 Beiträgen aus überregionalen Print- und Onlinemedien zu Depression und Typ-2-Diabetes von 2011 bis 2020, sowie 2) einem Online-Experiment mit N = 1.088 Teilnehmenden beleuchten wir nun den gesamten Prozess des Responsibility Frame Settings. Die Ergebnisse zeigen, dass schon vor der Rezeption der Responsibility Frames auf Seiten der Rezipierenden einige Parallelen zu den Inhalten der untersuchten Medienberichterstattung erkennbar waren: Sowohl in den medialen als auch in den kognitiven Frames wird vornehmlich individuelle Verantwortung zugeschrieben, insbesondere für die Ursachen von Typ-2-Diabetes. Nach Rezeption der Responsibility Frames veränderten sich die Attributionen überwiegend in die Richtung des rezipierten Frames. Insgesamt lassen die Ergebnisse auf ein effektives Responsibility Frame Setting schließen, wenngleich einige Differenzen zwischen medialen und Publikumsframes bestehen. Wir diskutieren die Befunde im Hinblick auf methodische Herausforderungen, die Framingforschung sowie die praktische Gesundheitskommunikation.

„Ich will diese Verantwortung nicht auf meinen Schultern haben“ – Verantwortungszuschreibung im Podcast „Das Coronavirus-Update“

Ina von der Wense & Michael Wild

Die Corona-Pandemie hat in den letzten Jahren den öffentlichen Diskurs wie auch die mediale Berichterstattung maßgeblich geprägt. Insbesondere auch die Frage nach Verantwortlichkeiten für unterschiedliche Aspekte wie Schutzmaßnahmen oder Impfstoffbestellung und -verteilung wurden dabei immer wieder und in der gesamten medialen Breite diskutiert. Der vorliegende Beitrag untersucht, welche Verantwortungszuschreibungen im Rahmen der Corona-Pandemie im NDR-Podcast „Das Coronavirus-Update“ geäußert wurden und ordnet diese anhand eines Mehrebenen-Modells des Responsibility Framings auf den Ebenen Individuum, Netzwerk, Institution und Gesellschaft zu. Darüber hinaus wird gefragt, ob auch eine Verlagerung von Verantwortung zwischen den Ebenen zu beobachten ist. Die empirische Umsetzung erfolgt dabei anhand eines Methodenmixes aus automatisierter Textanalyse mittels der Programmiersprache Python und einer manuellen quantitativen Inhaltsanalyse. Dabei wurden alle 127 Folgen des Podcasts analysiert, die zwischen Februar 2020 und März 2022 publiziert wurden. Die Ergebnisse zeigen starke Zuschreibungen von Verantwortlichkeit insbesondere auf der institutionellen Ebene. Zugleich zeigt sich an verschiedenen Stellen, vor allem auf der institutionellen, aber auch von der institutionellen auf die individuelle Ebene und umgekehrt, die Verschiebung von Verantwortung an andere (sog. Shifting the blame).

Die Gesundheitsmanager:innen: Die Bedeutung von Geschlechterrollen für die Verantwortungsübernahme in Gesundheitsfragen

Elena Link & Eva Baumann

Männer und Frauen unterscheiden sich in ihren gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen sowie ihrem Informations- und Kommunikationshandeln. Statt sich ausschließlich auf das biologische Geschlecht zu fokussieren, fragt der vorliegende Beitrag nach der Rolle des sozialen Geschlechts für das gesundheitsbezogene Informationshandeln und die Übernahme der Rolle der Gesundheitsmanager:in. Die Rolle des Geschlechts wird hierzu mittels der sozialen Rollentheorie und geschlechtertypischen Sozialisation kontextualisiert. Dabei wird der bisher weit verbreitete Fokus auf das biologische Geschlecht um Geschlechterstereotype und das Geschlechter-Selbstkonzept erweitert. Die Ergebnisse einer qualitativen Befragung zeigen, dass sowohl die Suche nach Gesundheitsinformationen als auch die Übernahme der Kommunikationsrolle der Gesundheitsmanager:in am stärksten mit der Identifikation mit sozialen Werten verbunden ist. Dennoch spielen auch eher männlich attribuierte Eigenschaften wie Lösungs- und Machtorientierung eine Rolle und sind für die Suche und Verantwortungsübernahme förderlich. Entsprechende Erkenntnisse sind für Fragen der strategischen Gesundheitskommunikation und die Ansprache unterschiedlicher Anspruchsgruppen bedeutsam, indem diese Merkmale stärker bei der Diffusion von Gesundheitsinformationen mittels Meinungsführender berücksichtigt werden sollten.

Transparenzhinweise im Gesundheitsjournalismus - Ein Experiment zum Einfluss der Offenlegung von Pharma-Lobbyismus im Gesundheitsjournalismus

Nariman Sawalha & Constanze Rossmann

Wenngleich die Zusammenarbeit zwischen unabhängigem Gesundheitsjournalismus und interessengeleiteten Pharmakonzernen nicht inhärent falsch ist, erzeugt sie ein medienethisches Spannungsfeld, das sich nachteilig auf die Bewertung und das Vertrauen in den Journalismus auswirken kann. Transparenzhinweise (d.h. Begleitinformationen in journalistischen Beiträgen, die bspw. Pharmakonzerne als Finanzgeber offenlegen) sollen dem entgegenwirken. In einem Online-Experiment (N = 266) haben wir daher den Einfluss der Transparentmachung von Pharma-Lobbyismus in einem gesundheitsjournalistischen Zeitungsartikel auf die Glaubwürdigkeitswahrnehmung, die Qualitätsbewertung sowie das Vertrauen in Medium und Journalist:in seitens der Rezipient:innen untersucht. In einem 2x3 Design variierten wir den Transparenzhinweis nach seiner Länge (kurz, lang) und seiner Position (Anfang, Kasten, Sternchen) im Text. Die Kontrollgruppe erhielt denselben Artikel, jedoch ohne Hinweis auf die Zusammenarbeit mit dem im Text thematisierten Pharmakonzern. Die Ergebnisse zeigen, dass die Position des Hinweises (im Gegensatz zur Länge) einen signifikanten Einfluss hatte. Konkret wurde der Artikel mit mittig platziertem Infokasten am positivsten und vertrauenswürdigsten bewertet. Dies deutet darauf hin, dass ein Transparenzhinweis, der sich durch seine Gestaltung deutlich vom Nachrichtentext abhebt, als moralisch eher vertretbar eingestuft wird als solche, die sich eher unauffällig in den Fließtext einfügen.

Akzeptanz von Informations- und Kommunikationstechnologien in Apotheken. Ergebnisse einer qualitativen Befragung von Apothekenpersonal

Katja Caspar & Paula Stehr

Vor-Ort-Apotheken spielen als niedrigschwellige und leicht zu erreichende Dienstleister eine wichtige Rolle für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Um den demografischen Herausforderungen zu begegnen und die flächendeckende Gesundheitsversorgung sicherzustellen, müssen Apotheken durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) besser mit anderen Akteuren des Gesundheitswesens vernetzt werden. In der vorliegenden Studie wurden qualitative Leitfadeninterviews (n = 10) durchgeführt, um entlang der Unified Theory of Acceptance and Use of Technology (UTAUT) die Technologieakzeptanz von Apothekenpersonal zu untersuchen. Die Determinanten Leistungserwartungen, Aufwandserwartungen, soziale Einflüsse und erleichternde Rahmenbedingungen scheinen auch bei Apothekenpersonal entscheidend für die Verhaltensintention zur Nutzung von IKT zu sein. Über die Spezifikation dieser theoriebasierten Determinanten hinaus lassen sich auf Basis der Interviews erste Rückschlüsse ziehen, dass auch die Berufsgruppe, der Apothekenstandort und das Informa- tionsverhalten die Technologieakzeptanz des Apothekenpersonals beeinflussen. Für weitere Untersuchungen der Technologieakzeptanz des Apothekenpersonals wird eine kontextspezifische Modifikation der UTAUT empfohlen.

Verantwortungsdarstellung und Verantwortungswahrnehmung in der 1. Welle der COVID-19-Pandemie: Ein mehrmethodischer Ansatz.

Annemarie Wiedicke, Constanze Rossmann, Jana Sandrock, Linn Julia Temmann, Doreen Reifegerste & Laura Eva-Maria Koch

Zu Beginn der COVID-19-Pandemie reagierte der Großteil der betroffenen Länder mit Maßnahmen, die das öffentliche Leben weitgehend einschränkten. Gleichzeitig baten Politiker:innen und andere gesellschaftliche Akteur:innen die Menschen, Abstand zu halten und zu Hause zu bleiben. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wer für Ursachen und Lösungen der Pandemie als verantwortlich wahrgenommen wurde. Maßgeblich geprägt wird eine solche Verantwortungswahrnehmung durch deren Darstellung in der medialen Berichterstattung mittels Responsibility Frames. Entsprechend setzt sich der vorliegende Beitrag mit den Responsibility Frames in der Berichterstattung zu COVID-19 sowie der Verantwortungswahrnehmung seitens der Bevölkerung in der ersten Welle der Pandemie in Deutschland auseinander. Zu diesem Zweck wurden eine teilstandardisierte Inhaltsanalyse der Printberichterstattung sowie eine bevölkerungsrepräsentative Online-Panelbefragung im Zeitraum Januar bis Mai 2020 durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Medien insbesondere gesellschaftliche Verantwortung hervorhoben, während die Bevölkerung komplexere Verantwortungsattributionen aufwies. Insgesamt aber waren, anders als in der Berichterstattung, individuelle Verantwortungszuschreibungen in der Bevölkerung am stärksten ausgeprägt. Dies ist angesichts der Bedeutung der Verantwortungswahrnehmung für das individuelle Gesundheitsverhalten und die Bereitschaft, politische Maßnahmen zu unterstützen, ein zentraler Befund.

Nature, Nurture. Journalistische Responsibility Frames im Kontext von Depressionen

Annemarie Wiedicke

Wie oder wem Menschen Verantwortung für die Entstehung von bzw. den Umgang mit Erkrankungen zuweisen, wird entscheidend durch die mediale Darstellung von Verantwortung mittels Responsibility Frames beeinflusst. Diese wiederum stehen in Zusammenhang mit den Vorstellungen der Journalist:innen hinsichtlich gesundheitlicher Verantwortung – den journalistischen Responsibility Frames. Neuere Studien zum Responsibility Framing von Gesundheitsthemen unterscheiden dabei mindestens drei Ebenen gesundheitlicher Verantwortung: Individuum, soziales Netzwerk und Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund widmet sich der vorliegende Beitrag der Frage, inwiefern Journalist:innen individuelle, netzwerkspezifische und gesellschaftliche Verantwortung für die Entstehung von und den Umgang mit Depressionen zuschreiben. Zur Beantwortung dieser Frage wurden 12 leitfadengestützte Interviews mit Journalist:innen, welche für den deutschsprachigen Raum regelmäßig über Gesundheitsthemen berichten, geführt. Die Ergebnisse zeigen zum einen, dass Journalist:innen – in Übereinstimmung mit der medizinischen Evidenz – sowohl die Entstehung als auch den Umgang mit Depressionen auf allen drei Ebenen gesundheitlicher Verantwortung verorten. Zum anderen wird deutlich, dass journalistische Responsibility Frames zu Depressionen stark durch den Hintergrund der Journalist:innen und insbesondere ihre Erfahrungen mit der Krankheit geprägt sind.