Nachwuchsforschungsgruppen: Die Start-Ups der Wissenschaft

 

 

 

Von Marc Ziegele, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Forschungskollaborationen finden auf vielen Ebenen statt, von der Zusammenarbeit innerhalb des eigenen Instituts über gemeinsame Studien mit ehemaligen Weggefährt:innen bis hin zu drittmittelgeförderten und institutionsübergreifenden Forschungsprojekten. Hier beziehe ich mich auf die letztgenannten Forschungskollaborationen, die mich seit Beginn meiner universitären Karriere im Jahr 2010 begleiten: In DFG-Netzwerken durfte ich neue Kontakte knüpfen, im Team der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen etablierte ich ein zweites Standbein meiner Forschung und in einem praxisorientierten BMBF-Projekt erweitere ich mein Repertoire an kreativen Warm-ups für Meetings und lerne zielorientiertes Projektmanagement. Seit 2018 leite ich eine vom Wissenschaftsministerium Nordrhein-Westfalen geförderte Nachwuchsforschungsgruppe (NWG) zum Thema Deliberative Diskussionen im Social Web, die mein akademisches Leben nachhaltig prägt.

Versuche ich, die Möglichkeiten und Chancen meiner erlebten Forschungskollaborationen mit Blick auf die NWG zu systematisieren, fallen mir – der Uses & Gratifications-Ansatz grüßt aus der Ferne – vier Funktionen ein. Zunächst die kognitive Funktion: Eine NWG eröffnet Leiter:innen die Möglichkeit, Expertise in neuen wissenschaftlichen Themenfeldern, in der Antragsstellung und in der Bewältigung von administrativen Aufgaben zu generieren. Die in der Regel mehrjährige Laufzeit einer NWG erlaubt es, große theoretische „Brocken“ zu bearbeiten und umfangreiche empirische Studien zu planen und durchzuführen. Doktorand:innen können im Schwerpunktbereich der NWG promovieren und müssen nicht beim Nullpunkt mit der Themensuche beginnen. Außerdem können sie häufig mit umfangreichen Daten arbeiten. Hinsichtlich ihrer sozialen Funktion sehe ich die NWG als akademisches Start-Up: Die Hierarchien sind flach, die Kommunikationswege kurz, und die Teamatmosphäre verströmt gerade in den ersten Jahren das Gefühl von Aufbruch. Zusammen mit fantastischen Doktorand:innen schafft das einen starken Zusammenhalt, und schon beim Schreiben dieses Beitrags werde ich etwas wehmütig, dass die NWG finanzierungsbedingt nach fünf Jahren endet. Die Identitätsfunktion einer NWG ergibt sich aus ihrem Selbstverwirklichungspotenzial; aus Leitungssicht kann man sich bereits in der Antragsphase kreativ entfalten und ein mehrjähriges Projekt auf die Beine stellen, das einen wirklich interessiert. Für Promovierende bietet sich die Möglichkeit, frühzeitig ein eigenes wissenschaftliches Profil auszubilden. Schließlich die materielle Funktion: Eine NWG bringt Mittel, Reputation und im Idealfall auch Daten, Publikationen und Kontakte. Sie wertet den akademischen Lebenslauf auf, ersetzt häufig die Habilitation und wirkt im Idealfall als Karrierebooster für die spätere Professur. Von der in der Regel guten materiellen Ausstattung einer NWG profitieren oftmals auch die Promovierenden.

Wie kommt man in den Genuss einer NWG? Hilfreich sind aus meiner Sicht vier Punkte: Mit offenen Augen stößt man auf relevante Ausschreibungen, Kontakte helfen bei der Schärfung des Profils der geplanten NWG, bei ihrer interdisziplinären Ausrichtung und der institutionellen Anbindung. Pragmatische Ideen, deren Potenzial man vielleicht schon seit längerem „fühlt“, die aber noch nicht bis ins letzte Detail durchdacht sind, sind ebenfalls hilfreich. Ich hatte schon während meiner Promotion den Wunsch, eine wissenschaftlich fundierte Moderationssoftware für Online-Diskussionen zu entwerfen. Als ich von der Ausschreibung der Digitalen Gesellschaft erfuhr, war die Zeit der Idee gekommen, was unmittelbar mit der Notwendigkeit eines langen Atems verbunden war. Denn die Beantragung einer NWG ist zuweilen zäh: Vom ersten Buchstaben auf dem Antragsdokument bis zum Start der NWG vergingen mehr als zwölf Monate, in denen ich mir nicht nur einmal die Haare gerauft habe. Und ich hatte Glück, dass es im ersten Anlauf geklappt hat, oftmals braucht es einen noch längeren Atem. Von vielen Kolleg:innen weiß ich aber, dass sie selbst im Falle einer Ablehnung mit einem fertigen Antrag in der Tasche schnell Erfolg hatten – es lohnt sich also, dranzubleiben und sein eigenes akademisches Start-Up auf den Weg zu bringen!