Synthetische sexuelle Bilder: Zwischen Angst und Lust

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Nicola Döring (Technische Universität Ilmenau)

1888 brachte Kodak die erste Kamera mit Rollfilm auf den Markt. In den folgenden 90 Jahren wurden etwa 15 Milliarden analoge Fotos geknipst. Nachdem 2022 bildgenerierende Modelle der Künstlichen Intelligenz (KI) öffentlich verfügbar waren, brauchte die Menschheit nur rund 18 Monate, um 15 Milliarden KI-Bilder zu erzeugen (Valyaeva, 2023). Werkzeuge wie DALL-E, Midjourney und Adobe Firefly sowie die zahlreichen KI-Modelle basierend auf Stable Diffusion erlauben es, in Sekundenschnelle, aus einfachen schriftlichen Anweisungen (Prompts) vielfältiges Bildmaterial zu erstellen, sei es im Stil von Zeichnungen, Comics, Gemälden oder Fotografien. 

Erotische Darstellungen sind fester Bestandteil der technischen Bildproduktion: Mit der Analogkamera entstanden Aktfotos. Digitalkameras in Smartphones normalisierten Produktion und Austausch eigener Nackt- und Sexbilder. Und KI-Generatoren erleichtern heute die Erstellung synthetischer Pornografie. Zwar verbieten gängige KI-Modelle explizite Inhalte, doch „unzensierte“ Modelle wie Unstable Diffusion sind speziell darauf ausgerichtet (Döring, 2025). Zahlreiche KI-basierte Apps und Websites erlauben es inzwischen, mit wenigen Klicks sexuelle Wunschbilder zusammenzustellen (Lapointe et al., 2025). KI-Pornografie ist längst Teil des Alltags: Eine eigene im Dezember 2024 durchgeführte, noch unveröffentlichte repräsentative Umfrage unter gut 2500 Online-Nutzenden in Deutschland (18–75 Jahre) ergab, dass 20% bereits sexuelle KI-Bilder gesehen und 10% selbst erzeugt haben. Es gab auch schon 5 % Intensivnutzende, die sich mehrmals pro Woche oder täglich mit KI-Pornografie befassen. 

Das generell breite Interesse an sexueller Medienunterhaltung ist wenig überraschend, da sexuelle Fantasien universell sind – von realitätsnahen Erinnerungen an eigene sinnliche Erlebnisse bis zu normverletzenden Szenarien, die Lust am Verbotenen widerspiegeln (Döring & Schmitt, 2024). Explizite Geschichten und Bilder dienen der spielerischen Erkundung solcher Fantasien, oft ohne Umsetzungsabsicht. Dabei geht es nicht immer um Realitätsnähe und Authentizität, sondern oft gerade um Übertreibung, Idealisierung, Ausschweifung und imaginierte Grenzerfahrungen. 

Die Forschung fokussiert bislang drei Problembereiche der KI-Pornografie: (1) nicht-konsensuelle Deepfake-Pornografie, die insbesondere Frauen weltweit viktimisiert, (2) illegales synthetisches Material mit Kindern, sowie (3) stereotype und objektifizierende Darstellungen in legaler KI-Pornografie, die bislang primär von und für heterosexuelle Männer produziert wird. Notwendig sind gezielte rechtliche, technische und pädagogische Maßnahmen, um schädlichen Nutzungsformen und ihren Effekten entgegenzuwirken (Döring et al., 2025, Lapointe et al., 2025).

Was fehlt, ist eine Debatte darüber, welche Formen ethischer und sozialverträglicher KI-generierter Pornografie wir als akzeptabel oder wünschenswert erachten. Ähnlich wie sich die Gaming-Forschung vom pauschalen „Killerspiel“-Vorwurf emanzipiert hat, hat auch die Pornografie-Forschung in den letzten Jahrzehnten den generalisierten Vorwurf der „Vergewaltigungsanleitung“ hinter sich gelassen und zahlreiche positive Wirkungen des Umgangs mit sexuellem Fantasiematerial aufgezeigt (Döring et al., 2024). Auch hat sich der digitale Pornografiemarkt ausdifferenziert und beinhaltet nun neben den traditionell männerzentrierten Inhalten zahlreiche frauenorientierte, feministische und queere Angebote. Die Positive Psychologie bietet eine theoretische Grundlage, um KI-gestützte sexuelle Medienunterhaltung nicht nur problemorientiert, sondern auch aus einer sex- und technologiepositiven Perspektive zu untersuchen – mit der Frage, welche Beiträge zum hedonistischen und eudaimonischen Wohlbefinden unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen sie leisten kann.

Gerade das, was an bildgenerierender KI heute Angst macht – ihre einfache Verfügbarkeit für potenziell schädliche Inhalte –, eröffnet zugleich die Möglichkeit, dass viele Menschen sich daran beteiligen können, unter dem Aspekt der Lust kreative neue sexuelle Bilderwelten zu gestalten und zu erforschen. Welche Prompts und Meta-Prompts sind wohl in Forschung und Praxis nützlich, um menschenfreundliche synthetische Pornografie zu erkunden und zu entwickeln, die niemandem schadet, aber auch die Irrealität sexueller Fantasien anerkennt?

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Referenzen: 
Döring, N. (2025). Jugendsexualität und Künstliche Intelligenz. Empfehlungen für die Sexual- und Medienpädagogik. merz | medien + erziehung, 69(1), 53-64. https://doi.org/10.21240/merz/2025.1.14

Döring, N. & Schmitt, D. P. (2024). Sexual Fantasies. In T. K. Shackelford (Ed.), Encyclopedia of Sexual Psychology and Behavior. Springer Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-031-08956-5_2202-1

Döring, N., Krämer, N., Miller, D.J., Quandt, T., & Vowe, G. (2024). Media Representations of Sexuality in an Era of Pornification. Editorial to the Special Issue. Studies in Communication and Media, 13(4), 385-400. https://doi.org/10.5771/2192-4007-2024-4-385.

Döring, N., Le, T., Vowels, L., Vowels, M., & Marcantonio, T. (2025). The Impact of Artificial Intelligence on Human Sexuality: A Five-Year Literature Review 2020-2024. Current Sexual Health Reports, 17, 1-39. https://doi.org/10.1007/s11930-024-00397-y

Lapointe, V.A., Dubé, S., Rukhlyadyev, S., Kessai, T., & Lafortune, D. (2025). The Present and Future of Adult Entertainment: A Content Analysis of AI-Generated Pornography Websites. Archives of Sexual Behavior. https://doi.org/10.1007/s10508-025-03099-1