Zwischen visueller Täuschung, kreativen Chancen und kommunikativer Verantwortung

Katharina Lobinger, Università della Svizzera italiana

Die Visuelle Kommunikationsforschung als Forschungsfeld der Kommunikations- und Medienwissenschaft steht vor tiefgreifenden Herausforderungen. Lange als marginal unterschätzt, ist visuelle Kommunikation stark ins Rampenlicht gerückt – einerseits durch die ständig steigende Quantität zirkulierender Bilder, andererseits durch die zunehmende Bedeutung von Bildern in medialen Kontexten, beispielsweise in sogenannten „bildbasierten“ sozialen Medien wie Instagram und TikTok. Die Zugänglichkeit zur Produktion und Zirkulation von synthetischen Bildern, vor allem mittels KI generierter Bilder, hat die Relevanz der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Erforschung von visuellen Inhalten nun abermals verstärkt. Ein grundlegendes ­Unbehagen liegt vor allem darin, dass synthetische Bilder (relativ) einfach produziert werden können – vermeintlich von jeder beliebigen Person, auch wenn das ein wenig zu optimistisch gedacht ist. Darüber hinaus wird Bildern, vor allem, wenn sie Fotografien ähneln, Authentizität und eine ­ vermeintliche Wirkungsmacht zugesprochen. Der Grundsatz „Seeing is believing“, der zu Recht stets kritisch hinterfragt und problematisiert wurde, erhält in der aktuellen Debatte um ­ synthetische Bildwelten nun neue Brisanz. 

Die diskutierten Szenarien oszillieren dabei oft zwischen zwei Extremen: Einerseits, so wird argumentiert, könne Bildern nicht mehr geglaubt werden; es drohe ein völliger Vertrauensverlust. Andererseits, so die gegensätzliche Vorstellung, glauben wir Bildern fast blind. Demzufolge könnten sie uns manipulieren und besonders starke Wirkungen entfalten. An dieser Stelle hilft uns ein Blick zurück: Schon immer waren Bildmanipulationen, ob analog oder durch digitale Tools, sowie legitime (z. B. in Werbung) und illegitime (z. B. in
Journalismus) Bildinszenierungen alltäglicher Teil des „Bild-Business“. In jüngerer Vergangenheit bewegten uns u. a. Diskussionen rund um Augmented-Reality-Filter auf Social Media Plattformen und generische Stock Images mit ihren spezifischen Ästhetiken. Die gegenwärtige gesellschaftliche Debatte rund um KI-generierte Bilder unterstreicht einmal mehr einen zen­ tralen Aspekt: nämlich, dass wir endlich lernen müssen, das Medium mitzubetrachten, sowohl als Forscher:innen als auch als Rezipient:innen. Bereits René Magritte wies bekanntlich mit seinem Werk „Ceci n’est pas une pipe“ („Dies ist keine Pfeife“, 1929) darauf hin, dass Bilder nicht das Abgebildete selbst sind, sondern lediglich dessen Repräsentation. Magritte erinnert uns damit daran, dass wir das Repräsentations­ medium – sei es Malerei oder Fotografie, oder eben ein synthetisches Bild – nicht als transparent betrachten dürfen: Statt durch das Medium hindurch auf das Dargestellte zu blicken, müssen wir die technischen, materiellen und sozio­ kulturellen Konstruktionsweisen selbst beleuchten und in den Vordergrund rücken. Sie sind essenzieller Teil des Objekts ‚Bild‘. 

Doch die Interpretation der Bilder wird nicht nur durch das Medium, sondern ebenso durch unsere eigenen Voreinstellungen und Erfahrungen geformt. Nehmen wir hier das Bild der Mond­landung auf dem Cover als Beispiel. Für das Coverbild bat ich Stable Diffusion, mit folgendem kurzen Prompt ein Bild zu erstellen: „An image as a proof for the fact that man has landed on the moon“. Ich verwendete dazu ein spezifisches KI-Modell für Stable Diffusion (EpicrealismXL 2024), mit dem man hochwertige, fotorealistische Bilder erzeugen kann. Dies ist wichtig, denn der Stil und die Bildästhetik liefern ebenso essenzielle Hinweisreize für den weiteren Rezeptions- und Interpretationsprozess wie die dargestellten Motive selbst. Und gerade hier zeigen sich (noch) drastische Unterschiede zwischen den verschiedenen KI-Systemen und -Modellen. Für diesen Text habe ich mit demselben Modell ein Bild mit dem Prompt „an astronaut during the moon landing waving a Swiss flag“ erstellt. 

Mondlandung_Lobinger_Aviso_01/2025

Warum die Mondlandung? Ich möchte hier an einen wunderbaren Artikel von Dahmen und Perlmutter aus 2008 erinnern. Die beiden Forscher: innen konnten zeigen, dass nicht immer „Seeing is believing“ gilt. Vielmehr sollten wir uns gerade für das Prinzip „Believing is seeing“ deutlich mehr interessieren, denn unser Wissen, unsere Einstellungen, Vorurteile und frühere Erfahrungen bestimmen, welche Bedeutung wir Bildern zuweisen. Besonders deutlich ist das, wenn Betrachter:innen gezielt nach Informationen suchen, die ihre bestehenden Überzeugungen bestätigen. Dahmen und Perlmutter konnten in ihrem Beitrag zeigen, dass Bilder paradoxerweise dazu beitragen können, wissenschaftlich belegte Ereignisse abzulehnen, wenn sie auf bereits vorhandene Zweifel oder verschwörungstheoretische Vorstellungen treffen. So wurden die Bilder der Mondlandung von der NASA als Beweise für die erfolgte Mondlandung verwendet, während Anhänger:innen der Moon-Hoax-Theory, also Anhänger:innen der Auffassung, die Mondlandung sei ein „Fake“ und nie erfolgt, die gleichen Bilder mit gänzlich anderer Argumentationsweise verwenden. Der oftmals gemachte Bezug von Fotografie und Wahrheit zeigt sich also seit jeher als fragil und problematisch. Die Mondlandung wird übrigens auch in der folgenden AVISO-Debatte nochmals aufgegriffen werden.

Das Aufkommen KI-generierter Bilder stellt damit nicht nur Herausforderungen, sondern auch eine große Chance dar. Optimistisch betrachtet könnten die mit KI veränderten Bildwelten einen bedeutenden Wandel markieren. Denn gerade angesichts der derzeit starken Aufmerksamkeit für visuelle Repräsentationen und deren Funktionsweisen bietet sich nun eine günstige Gelegenheit, die hartnäckige Rhetorik unvermittelter Repräsentation kritisch zu beleuchten, die vermeintlich fehlende Medialität von Bildern in den Fokus zu rücken und die visuelle Kompetenzbildung (siehe u. a. Reißmann et al., 2025) voranzutreiben. Diese Überlegungen sollten allerdings sämtliche Bildtypen und -stile umfassen und sich nicht ausschließlich auf KI-generierte Bilder konzentrieren, die letztlich frühere visuelle Formen remedialisieren. 

Für uns als Kommunikations- und Medienwissenschaftler: innen bedeutet dies auch, dass wir unsere eigenen Forschungspraktiken überdenken müssen. Es reicht nicht aus, lediglich Bildmotive zu analysieren, wie dies oftmals in recht einfachen Inhaltsanalysen erfolgt; vielmehr braucht es eine tiefgehende Erforschung der Ästhetiken und Darstellungstechniken, der kontext-spezifischen Verortungen, der multimodalen Bezüge sowie der unmittelbaren Wirkungsweisen visueller Inhalte, gerade in alltäglichen Situationen wie beim beiläufigen Scrollen durch Social-Media-Feeds. Wichtig ist dabei auch die Prämisse, dass der technische Produktionsprozess eines Bildes nicht über dessen Wahrheitsgehalt entscheiden kann. Es gilt also nicht: Es ist eine Fotografie, deshalb ist es so gewesen! Bilder vermitteln unabhängig von ihrer Entstehungsweise zentrale Informationen und Cues – und können ebenso gut täuschen und manipulieren wie aufklären und Wissen schaffen. Auch die kommunikativen Intentionen und die Verwendungspraktiken, in die Bilder eingebettet sind, verdienen in diesem Zusammenhang verstärkt Aufmerksamkeit. Gerade die Visuelle Kommunikationsforschung ist daher stark gefordert, ihre Expertise in der Analyse visueller Kommunikation stärker in die kommunikations- und medienwissenschaftliche Debatte einzubringen.

Der vorliegende Debattenschwerpunkt versammelt Expert:innen aus unterschiedlichen Bereichen der Forschung im Kontext visueller Kommunikation, um einerseits kritische und problematische Aspekte synthetischer Bildwelten zu beleuchten und andererseits positive Potenziale sowie Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Es geht ausdrücklich nicht um eine pauschale Technikablehnung im Sinne einer „Medienpanik“ oder „Moralpanik“, sondern um differenzierte Standpunkte zu zentralen Fragen: Müssen uns synthetischen Bilder beunruhigen? Wenn ja, warum und in welchen Kontexten? Was könnten positive Entwicklungen sein? Und vor allem: Was sollten wir als Gesellschaft und Forschungscommunity tun, um diesen Herausforderungen angemessen und verantwortungsvoll zu begegnen?

Referenzen: 
EpicrealismXL v7 Final Destination [Stable Diffusion Modell]. (2024). Abgerufen am 20. März 2025 von https://civitai.green/models/277058

Magritte, R. (1929). La trahison des images [Öl auf Leinwand]. Los Angeles County Museum of Art, Los Angeles, CA, USA.

Perlmutter, D. D., & Dahmen, N. S. (2008). (In)visible evidence: Pictorially enhanced disbelief in the Apollo moon landings. Visual Communication, 7(2), 229–251. https://doi.org/10.1177/1470357208088760

Reißmann, W., Venema, R., Autenrieth, U., & Brüggen, N. (Hrsg.). (2025). Visual Literacy: Bildkompetenzen in den digitalen Medien. Herbert von Halem Verlag.