KI und Forschung: Potenziale nutzen, Risiken kennen

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Gregor Wiedemann, Leibniz-Institut für Medienforschung, Hamburg

Von der Identifikation der Forschungslücken bis zur Zusammenfassung der Gutachten: KI kann Forschende bereits heute bei nahezu allen Schritten der wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion unterstützen. Und mehr noch: Unter dem Stichwort „autonomous scientific discovery“ werden KI-Agenten entwickelt, die neues wissenschaftliches Wissen generieren sollen. In der Mathematik wurden so bereits neue Lösungen für Probleme gefunden, bei denen Menschen seit Jahrzehnten keine Fortschritte mehr erzielt hatten. Wie wird KI die kommunikationswissenschaftliche Forschung in den nächsten Jahren beeinflussen? 

Bei der Begutachtung etwa von Projektanträgen wird sich die Mehrheit der Forschenden 2026 noch nicht durch KI-Assistenten unterstützen lassen, für 2027 ist es dagegen erwartbar. KI-unterstützte Gutachten werden sich schon deswegen durchsetzen, weil Anträge und Forschungsartikel mit KI auch schneller und effektiver und damit in größerer Zahl erstellt werden. Noch zögern viele Zeitschriften und Fachverbände, den KI-Einsatz für Reviews zu empfehlen, verbieten ihn aber auch nicht mehr. Mittelgeber werden KI nutzen, um eingehende Forschungsanträge nach ihrer Passung zum Förderprogramm zu selektieren und zu ranken. Den Gutachter:innen obliegt dann vor allem die Aufgabe, die KI-generierten Bewertungen zu kontrollieren. Darin steckt Potenzial für ein faireres Verfahren. Schließlich steht KI nicht in Wettbewerb mit Kolleg:innen und hat schon heute einen besseren Überblick über Forschungsstände als die meisten Expert:innen. Für die Datenauswertung wird sich KI schneller durchsetzen. Forschende der Computational Social Science adaptieren seit Langem die neuesten Technologien, zum Beispiel zur automatischen Kodierung großer Mengen von Text- und Bilddaten. KI-Systeme helfen bei der Programmierung von Analyseskripten oder schlagen geeignete Methoden für spezifische Datenarten vor. Auch in der qualitativen Forschung haben KI-Assistenten Einzug in Programme wie MAXQDA gehalten und finden beispielsweise passende Textstellen für Kategorien. Die gestiegene Nutzerfreundlichkeit ermöglicht den Einsatz auch mit wenig technischer Vorbildung. Vermutlich wird sich die Mehrheit der Forschenden also 2027 bei der Datenauswertung durch KI helfen lassen. Diese Aufgabe komplett an KI-Agenten zur selbstständigen Erledigung zu übertragen, wird aber noch auf sich warten lassen. Bislang sind diese noch nicht sehr gut darin, eigenständig spannende Fragen an das Datenmaterial zu stellen. 

Auch bei der Produktion von Publikationen werden sich 2027 die meisten Forschenden durch KI unterstützen lassen. Bereits heute sind KI-basierte Werkzeuge für Übersetzung und Korrektur standardmäßig in Gebrauch. Zunehmend werden einzelne Absätze nach Eingabe von Stichpunkten oder ganze Kapitel etwa zum Forschungsstand automatisch generiert. Ganze Paper von hoher Qualität werden so noch nicht entstehen. Aber es wird schwerer, gute und weniger gute Publikationen zu unterscheiden. Gerade dafür werden Gatekeeper bei Journalen und Konferenzen eine noch wichtigere Rolle spielen. 

Insgesamt wird KI dazu beitragen, den wissenschaftlichen Output zu steigern, das durch Medienwandel und KI beeinflusste Kommunikationsverhalten auswertbar zu machen und neue Räume für interdisziplinäre Erkenntnisproduktion zu eröffnen. Aber Vorsicht: An den Grenzen ihres Wissens neigt KI zu Halluzination. Mit ihren Antworten kann sie meilenweit daneben liegen. Sich solche Einschränkungen bewusst zu machen, ist eine der wichtigsten Aufgaben. Um KI gewinnbringend zu nutzen, muss man ihr kritisch begegnen. Dafür sollten Qualifizierungsangebote und Leitlinien zum KI-Einsatz kontinuierlich entwickelt werden. Um möglichst gleiche Bedingungen für alle zu gewährleisten, sind dabei die Fachgesellschaften besonders gefragt.