Öffentlich-rechtliche Medien unter Druck

Von Annika Sehl, Universität der Bundeswehr München

 

 

 

Öffentlich-rechtliche Medien stehen in Deutschland, wie in vielen anderen europäischen ­Ländern, im digitalen Zeitalter unter (Legitimations-)Druck – auch wenn sich diese und ihr Umfeld in verschiedenen Ländern teils stark unterscheiden.

Die Überzeugung, dass es in Deutschland einen unabhängigen, dem Gemeinwohl verpflichteten Rundfunk geben soll, erodiert in Teilen der Gesellschaft. Eine Rolle spielen dabei die zunehmende Polarisierung und vor allem populistische Angriffe von rechts (siehe Sehl, Simon & Picard, 2020; Holtz-Bacha, 2021). Öffentlich-rechtliche Medien berichteten wahlweise zu regierungsnah und/oder zu politisch links, sind häufige Vorwürfe aus dieser Richtung. Tatsächlich ­zeigen Befragungen, etwa des Reuters Institutes der Universität Oxford in acht europäischen ­Ländern, dass das Vertrauen in öffentlich-rechtliche Medien in der Gesellschaft insgesamt zwar hoch ist, es aber Unterschiede hinsichtlich politischer Einstellungen gibt. Menschen, die sich selbst rechts der politischen Mitte einordneten, gaben im Allgemeinen in sieben der acht Länder ein geringeres Vertrauen in öffentlich-rechtliche Medien an als solche, die sich in der politischen Mitte oder links davon sahen (Schulz et al., 2019, S. 25). Ebenso war das Vertrauen von Menschen mit populistischen Einstellungen in öffentlich-rechtliche Medien mit der Ausnahme einer öffentlich-rechtlichen Organisation geringer als das von Menschen ohne solche Überzeugungen (Schulz et al., 2019, S. 28).

Auch Vertreter:innen der marktliberalen Perspektive äußern immer wieder Kritik. In einem digitalen Medienumfeld besteht keine ­Frequenzknappheit mehr; es gibt eine Vielzahl an Angeboten. Ein Markteingriff sei somit nicht mehr gerechtfertigt, sondern verzerre den Markt für private Anbieter unfair, so ihr Argument. Obwohl oft als These vorgebracht wird, dass öffentlich-rechtliche Medien private Anbieter vom Markt drängten, insbesondere von privaten Medien selbst, gibt es dafür empirisch wenig Belege; für das Fernsehen zeigt sich in einer ­Studie über alle Länder der Europäischen Union hinweg sogar eher das Gegenteil (Sehl, Fletcher & Picard 2020). Zudem zeigen Analysen zur Vielfalt im Internet, dass eine Vielzahl an Angeboten noch längst nicht bedeutet, dass es sich auch um ein vielfältiges Angebot handelt (z. B. Lobigs & Neuberger, 2018).

Das gewandelte Medienumfeld mit neuen Ausspielplattformen und Anbietern stellt eine ­weitere zentrale Herausforderung für die ­einstigen reinen Rundfunkanstalten dar, die nun zu öffentlich-rechtlichen Medien geworden sind. Sie müssen sich im Rahmen ihres Auftrags weiter­entwickeln und den digitalen Wandel in ihren eigenen Organisationen zügig vorantreiben, um im Digitalen relevant zu bleiben. Im Zentrum sollten dabei der gesellschaftliche Anspruch und sich wandelnden Anforderungen an öffentlich-rechtliche Medien stehen ebenso wie ein Qualitäts­diskurs, der offen für Veränderungen ist und diese begleitet (siehe Neuberger, 2019). Eine besondere Herausforderung ist dabei das Verhältnis von öffentlich-rechtlichen Medien zu Plattform­unternehmen. Während die strategischen Ziele der dem Gemeinwohl verpflichteten öffentlich-rechtlicher Medien und der kommerziell getriebenen Plattformunternehmen oft aus­einanderfallen, setzen öffentlich-rechtliche Medien dennoch auf Instagram, Facebook & Co., um insbesondere ­jüngere und schwer zu erreichende Ziel­gruppen, die nicht direkt auf das öffentlich-rechtliche Angebot zugreifen, mit ihren Inhalten zu erreichen (Sehl et al., 2018). Gemeinwohlorientierte öffentliche Räume im ­Digitalen (Thomaß, 2020), aber auch freie ­Lizenzen (Dobusch, 2019) ­werden als Alternativen zu den von US-Konzernen gegründeten ­Plattformen diskutiert.

Öffentlich-rechtliche Medien befinden sich also in schwierigem Fahrwasser, und es ­deutet wenig darauf hin, dass sich das in Zukunft schnell ändern wird, eher im Gegenteil. Allerdings spricht viel dafür, dass die Leistungen einer unab­hängigen, universellen und pluralistischen Berichterstattung, für die der öffentlich-recht­liche Rundfunk einst gegründet wurde, um zu einer ­individuellen und öffentlichen Meinungsbildung bei­zutragen, heute in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft bei gleichzeitiger Fragmentierung der digitalen Medienlandschaft umso wichtiger sind. Dafür sind öffentlich-recht­liche Medien aber auch in der Pflicht, ihren ­Mehrwert für die Gesellschaft deutlich zu machen, insbesondere auch für junge Menschen, und gemäß ihrem Auftrag ein Angebot für alle Bevölkerungsgruppen bereit­zustellen, unabhängig von z. B. Alter, ­Bildung oder politischer Über­zeugung. Vielfältige ­Positionen müssen – solange sie sich im demokratischen Rahmen bewegen – ein­gebunden und ausgetauscht werden, damit Meinungs­bildung stattfinden kann. Nur wenn das gelingt, können öffentlich-rechtliche Medien ihren ­Beitrag zur Integration der Gesellschaft leisten. Die Digitalisierung bietet dazu neben Herausforderungen auch viele neue Potenziale, die es zu nutzen gilt.

Grundsätzlich den Mehrwert eines ­dualen ­Systems aus öffentlich-rechtlichen und privaten Medien anzuerkennen, bedeutet aber nicht, dass über Detailfragen beispielsweise zur ­Weiter­entwicklung, den Strukturen der Anstalten, dem Umfang des Angebots oder der Höhe der öffentlichen Finanzierung nicht ­diskutiert werden kann und sollte. Soll sich die Kommunikations­wissenschaft in den ­politischen und gesellschaftlichen Diskurs zu öffentlich-rechtlichen Medien einbringen? Welche Herausforderungen und Entwicklungsperspektiven sehen Kolleg:innen? ­Welche Erkenntnisse hat unser Fach für den ­Diskurs zu bieten?

Diese Fragen werden in den vier folgenden Standpunkten diskutiert: Barbara Thomaß ­widmet sich in ihrem Standpunkt Angriffen auf öffentlich-rechtliche Medien und argumentiert, dass hier der Kommunikationswissenschaft eine wichtige Rolle zukommt, „weil eine Wissenschaft, die sich um die öffentliche Kommunikation in einer demokratischen Gesellschaft bemüht, hier eine ihrer dringlichsten Aufgaben findet“. Christina Holtz-Bacha beleuchtet insbesondere populistische Angriffe. Sie zieht das Fazit, dass „Reformpläne auf keinen Fall aber denen über­lassen bleiben [sollten], die unabhängigen ­Journalismus nicht aushalten können“. ­Christoph Neuberger fordert in seinem Standpunkt, dass der digitale Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen ausgehend von den Werten einer liberalen Demokratie weitergedacht werden muss – und sieht dabei auch die Kommunikationswissenschaft in der Pflicht, am Diskurs teilzunehmen. Leonhard Dobusch schließlich beschäftigt sich in seinem Standpunkt mit öffentlich-rechtlichen Medien und Plattformen und schlägt freie ­Lizenzen als „Investition in den Gemeingut­charakter öffentlich-rechtlicher Medien“ vor, um Reichweite bei gleichzeitiger Legitimation zu sichern.

Literatur
Dobusch, L. (2019). Commons als öffentlich-rechtliche ­Aufgabe. In ORF (Hrsg.), Allianzen, Kooperationen, Plattformen: Gemeinwohlorientierte Medienqualität in der Netzwerk­gesellschaft (S. 35-47). ORF. https://zukunft.orf.at/rte/upload/download/2019/jahresstudie_1819.pdf

Holtz-Bacha, C. (2021). The kiss of death: Public service media under right-wing populist attack.
European Journal of Communication, 36(3), 221–237.

Lobigs, F., & Neuberger, C. (2018). Meinungsmacht im Internet und die Digitalstrategien von Medienunternehmen. Neue Machtverhältnisse trotz expandierender Internet-Geschäfte der traditionellen Massenmedien-Konzerne: Gutachten für die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medien­bereich (KEK) (Schriftenreihe der Landesmedienanstalten). Vistas.

Neuberger, C. (2019). Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und ­Qualitätsdiskurs: Substanzielle und prozedurale Bestimmung des gesellschaftlichen Mehrwerts. Media Perspektiven, 10, 434–443.

Schulz, A., Levy, D. A. L., & Nielsen, R. K. (2019). Old, educated, and politically diverse: The audience of public service news. Reuters Institute for the Study of Journalism.

Sehl, A., Cornia, A., & Nielsen, R. K. (2018). Public service news and social media. Reuters Institute for the Study of Journalism.

Sehl, A., Fletcher, R., & Picard, R. G. (2020). Crowding out: Is there evidence that public service media harm markets? A cross-national comparative analysis of commercial television and online news providers.
European Journal of Communication, 35(4): 389–409.

Sehl, A., Simon, F. M., & Schroeder, R. (2020). The populist campaigns against European public service media: Hot air or existential threat? International Communication Gazette. https://doi.org/10.1177/1748048520939868

Thomaß, B. (2020). Public Open Space – der öffentlich-­rechtliche Rundfunk als Plattform. Journal für Rechtspolitik, 28(2), 95–100.