Medienwandel (2000)

Medienentwicklung und gesellschaftlicher Wandel. Theoretische und empirische Beiträge zu einem unterbelichteten Thema

Workshop der DGPuK-Fachgruppen “Soziologie der Medienkommunikation” und “Geschichte”
vom 1. – 2. Dezember 2000 in Hamburg (Hans-Bredow-Institut)?

Organisation: M. Behmer, F. Krotz, M. Stöber, C. Winter

Tagungskonzept: Die Herausbildung neuer Medien und der Funktionswandel bereits etablierter geschah stets zeitlich parallel zu allgemeinen gesellschaftlichen Veränderungen. So waren der Zerfall des mittelalterlichen Ordnungssystems und die Krisen der frühen Neuzeit begleitet von “Nachrichtenhunger” und der massenhaften Verbreitung von Flugblättern und Flugschriften, die erste Blüte des Zeitschriftenwesens im 18. Jahrhundert korrespondierte eng mit Aufklärung und Emanzipation des Bürgertums, Urbanisierung und Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren begleitet von der Durchsetzung der modernen Massenpresse, die Entwicklung zur Freizeitgesellschaft verlief parallel zum Aufkommen von immer neuen Informations- und Unterhaltungsmedien usf. Ein direkter Zusammenhang, eine wechselseitige Bedingtheit zwischen Medienentwicklung und gesellschaftlichem bzw. kulturellem Wandel ist leicht zu behaupten, aber schwer zu verifizieren. Das gilt auch für die heute zumeist unhinterfragt angenommen These, dass beide Prozesse – Medienentwicklung und gesellschaftliche Veränderungen – in der Gegenwart beschleunigt ablaufen.?In dem gemeinsamen Workshop der Fachgruppen Soziologie und Kommunikationsgeschichte sollen damit verbundene Fragen unter methodischer und problemorientierter Perspektive in theoretischer Absicht und auf empirischer Grundlage diskutiert werden:

1. Welche theoretische Fragen, empirische Untersuchungen und methodischen Probleme erwachsen aus dem Thema, welche Begrifflichkeiten und Wissenschaftsperspektiven lassen sich auf vergleichbare Weise in beiden Disziplinen verwenden und welche Bedingungen von Medienentwicklung und Gesellschaftswandel sind in beiden Disziplinen zu berücksichtigen?

2. Wie lassen sich soziologische und historische Ansätze fruchtbar miteinander verbinden? Wie lassen sich soziologische Fragestellungen und Ergebnisse auf die historische Erforschung übertragen, und wie lassen sich Ergebnisse der historischen Forschung für die Soziologie nutzbar machen?

ad 1. Hierzu sind Beiträge gewünscht, die sich mit der inneren Konzeption und Abgrenzung des Themas beschäftigen. Was heißt gesellschaftlicher Wandel, was medialer Wandel in den beiden Disziplinen? Wie sind derartige Veränderungen zu operationalisieren und mit welchen intervenierenden Faktoren stehen sie in Zusammenhang? Wie lässt sich das Verhältnis von Medienentwickung und sozialem bzw. kulturellem Wandel begrifflich und theoretisch brauchbar und eindeutig fassen? In Bezug auf welche Theorien hat die Entwicklung der Medien für Kultur und Gesellschaft welche Bedeutung? Wo gilt die umgekehrte Vermutung, wo gelingt der umgekehrte Nachweis von Einflüssen aus Kultur und Gesellschaft auf das Mediensystem? Welche Bedeutung haben einzelne Medienfunktionen (wie Bereitstellung von Informationen oder Unterhaltungsangebote) und deren Wandel für Menschen, ihren Alltag, die Gesellschaft und ihren Zusammenhang – und umgekehrt? Mit welchen Quellen lassen sich Fragen zum sozialen Wandel beantworten? Wie ist mit dem Problem der Überlieferungszufälle umzugehen? Wie sind Ersatzquellen zu erschließen?

ad 2. Hier sollen vor allem empirische Studien als auch theoretische Grundlagen, die in aller Regel in einer der beiden Teildisziplinen gründen, im Vordergrund stehen. Für beide Teildisziplinen gilt, dass sie nicht nur aktuelle Forschungen, interessante Fragestellungen und bedenkenswerte Forschungsergebnisse zu Teilfragen parat haben. Auch die frühere soziologische und historische Forschung und Theorieentwicklung hat Beachtenswertes geleistet, man denke nur an Max Weber, Karl Mannheim, Erich Manheim, Ferdinand Tönnies und viele andere Soziologen oder Medienhistoriker von Hans Traub über Otto Groth bis zu Wolfgang Riepl und Heinrich Wuttke. Daher sind auch Beiträge erwünscht, welche die “Klassiker” aus neuer Perspektive beleuchten, ferner Ansätze aus kulturhistorischer bzw. kultursoziologischer Perspektive. Weitere mögliche Fragen: Welche je eigenen Ansätze und Forschungsergebnisse erscheinen Soziologen und Historikern für die jeweils andere Seite interessant? Welche Hilfeleistung erwarten Historiker von soziologischen Fragestellungen und umgekehrt? Wie lassen sich Fragen der soziologisch bestimmten Diskussion des sozialen Wandels in die Vergangenheit verlängern, was ist etwa mit Hegemonie und Macht? Auch Ergebnisse der DDR-Forschung oder aus der Zeit des Nationalsozialismus sollten nicht vergessen werden. Schließlich könnte auch diskutiert werden, ob es irgendwelche Indizien für die Behauptung gibt, daß die neuen Medien das Ende der Geschichte wie das Ende von Kultur und Gesellschaft einleiten.