Offener Brief zum SoSe 2020 als "Nichtsemester"

Als Debattenanstoß haben die Professorinnen Paula-Irene Villa Braslavsky, LMU München, Andrea Geier, Universität Trier und Ruth Mayer, Leibniz Universität Hannover einen offenen Brief veröffentlicht, um das SoSe 2020 als „Nichtsemester“ zu deklarieren. Der Brief ist bisher von über 15.000 Personen unterschrieben worden. Die Forderung ist durchaus umstritten. So setzt der Aufruf aus Sicht des DHV-Präsidenten Prof. Bernhard Kempen „ein falsches Signal“. Da ich finde, dass der Brief viele wichtige Denkanstöße enthält, hier kurz die Kernidee. Erfreulich ist aus meiner Sicht, dass viele Anregungen bereits von der Gestzgebung bzw. den Universitäten und Hochschulen umgesetzt wurden (ich weiß, Korrelation ist nicht Kausalität).

„Nennen wir es NichtSemester, Fleximester, Optionalsemester, Kreativsemester …

Hauptsache, wir nehmen die aktuelle Lage an Hochschulen, Akademien und Universitäten nicht nur aus der Perspektive der Starken zur Kenntnis. Denn: Mindestens 85% der Lehrenden und Forschenden sind (sehr) prekär beschäftigt. Studierende, die erwerbstätig sind, Care-Verpflichtungen haben, über wackelige technische Infrastruktur und wenig Ressourcen verfügen, sind die Mehrheit, nicht die Ausnahme. Viele Studierende haben zudem Aufenthalts- und Visa-Probleme. Der akademische Normalbetrieb – das sind größtenteils keine privilegierten Professor_innen, sondern viele, die von der Covid-19-Krise direkt betroffen sind.

Wir wissen auch: Online-Lehre ist eine besondere, eigene, voraussetzungsreiche Variante der Lehre. Wenn sie gut – und nicht nur irgendwie – sein soll, dann muss sie gründlich vorbereitet und spezifisch entwickelt werden. Das gelingt oft gut, ist auch bereits vielfach etabliert, hat aber auch Grenzen. Nicht alles kann sinnvoll online studiert werden. Es gilt, auch diesen Sachverhalt mitzudenken in der aktuellen Situation.

Deshalb geht es um:

  • Verlängerung der Verträge befristet beschäftigter Mitarbeiter*innen: Hierfür braucht es rechtliche Grundlagen und Geld. Die Krise ist nicht kostenlos zu haben, doch sie sollte nicht auf Kosten der befristet Beschäftigten gehen.
  • Anpassung der BaföG-Regelungen
  • Rücksicht auf Hochdeputatslehrende: Deputate müssen flexibel gehandhabt werden können. Die Erfüllung des Deputats muss vor allem für die Lehrenden auf Hochdeputatsstellen zum einen dem erhöhten Aufwand einer schnellen Umstellung von Präsenz- und Onlinelehre angepasst werden und den Raum für das Experimentieren schaffen. Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, dass gar nicht für alle Veranstaltungen online-Formate gefunden werden können.
  • Fristen verlängern oder aussetzen: Viele Universitäten haben bereits Verlängerungsmöglichkeiten für die Abgabe von schriftlichen Arbeiten beschlossen. Eine Aussetzung des Sommersemesters würde bedeuten, dass eine generelle Fristverlängerung bis in den Herbst gewährt werden kann und Semestergebühren für ein Zusatzsemester entfallen. Internationale Studierende, die momentan nicht nach Deutschland zurückkommen können, sollten keine Anträge auf Urlaubssemester stellen müssen.
  • Flexibilität für Studierende: Wenn Studierende wegen Care-Arbeit nicht studieren können oder sich sozial engagieren wollen, darf ihnen daraus kein Nachteil entstehen.

Niemand erwartet, dass alles sofort geklärt wird. Aber egal wie wir es nennen: das kommende Semester verlangt mehr von uns als E-learning-Kompetenzen.“