Abschied aus der Wissenschaft
Mathis Danelzik
(Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende Berlin)
Das Ziel ist die Lebenszeitprofessur. Der Wettbewerb dauert zehn bis fünfzehn Jahre. Wenn es mit der Lebenszeitprofessur nichts wird, weil andere den Deut besser waren oder man in einem winzigen und hoch spezialisierten Arbeitsmarkt einfach Pech hatte, sieht es auf einmal mau aus. Die Chance, sich diesem Druck so lange auszusetzen und dabei im Alltag glücklich zu sein, ist sehr gering. So habe ich es jedenfalls beurteilt, als ich mich entschlossen habe, der Wissenschaft den Rücken zu kehren. Das Feedback der Mittelbaukolleg*innen auf meinen offenen Abschiedsbrief war frappierend: Viele beglückwünschten mich zu einem als mutig verstandenen Schritt, obwohl ich das Rennen um die Professur als viel wagemutiger empfinde. Es war bedrückend, wie viele Kolleg*innen Angst vor ihrer Zukunft hatten, sich selbst aber nicht mehr zu einem Ausstieg in der Lage sahen.
Für deutsche Sozial- und Geisteswissenschaftler*innen ist es normal, fünf bis zehn oder noch mehr Jahre Angst um ihre Zukunft zu haben. Natürlich sind sie deshalb bereiter, sich auszubeuten und ausbeuten zu lassen. Die eigentliche Frage lautet daher: Warum sollte ich mich als kompetente und gut ausgebildete Person einem System aussetzen, das mich systematisch schwach macht? Die meisten Personen, die sich diese Frage stellen müssten, könnten viele Berufe kompetent ausüben und auf verschiedenen Wegen Erfüllung finden. Es ist bezeichnend, dass sich nur die Wenigsten meiner ehemaligen Mitstreiter*innen die Frage nach Alternativen tatsächlich ergebnisoffen stellen. Wie in allen Berufsfeldern mit prekären Bedingungen üblich, bietet auch die Wissenschaft viel Identitätsstiftung. Man übt nicht einfach einen Beruf aus, man ist Wissenschaftler*in. Mich von diesem Identitätsentwurf zu lösen, war der langwierigste Schritt in meiner Entscheidung gegen die Wissenschaft.
Alles schrecklich in der Wissenschaft? Nein, ich habe meine Zeit und die damit verbundene intellektuelle Selbstverwirklichung genossen. Aber ich habe weder den Eindruck, dass der Wissenschaftsbetrieb seinen Rekrut*innen seine Bedingungen aufrichtig darlegt, noch dass die Strukturen von Wertschätzung oder Achtsamkeit gegenüber ihnen zeugen würden. Am meisten geärgert hat mich während meiner Entscheidungsfindung, dass es mir nicht möglich war, mein Risiko im Rennen um die Professur in irgendeiner Weise zu konkretisieren. Wie viele Stellen gibt es in welchen Feldern der Medien- und Kommunikationswissenschaft, wie viele Bewerber*innen in den verschiedenen Kohorten? Wann sind Professuren besetzt worden? Ich habe stets vermutet, dass die Chancen auf eine Professur in unserem noch recht jungen Fach stärker von Wachstums- und Besetzungswellen geprägt werden als in alten Disziplinen. Wirklich überprüfen konnte ich diese Vermutung nie. Meines Erachtens ist das Wissenschaftsestablishment seinen Rekrut*innen mindestens dies schuldig: alles zu unternehmen, ihnen frühzeitig die Sachlage vor Augen zu führen und eine ordentliche Entscheidungsgrundlage zu ermöglichen.
Alles super außerhalb der Wissenschaft? Auch das nicht. In den Sonntagsreden der Personaler*innen geht es um Potenziale, in der Einstellungspraxis hoffentlich wenigstens um Kompetenzen, tatsächlich leider häufig nur um Erfahrung. Für viele Verantwortliche scheint es am einfachsten zu sein, eine Person einzustellen, die die fragliche Aufgabe genauso bereits anderswo erledigt hat. Das hat man als Ex-Wissenschaftler*in in der Regel nicht zu bieten. Andererseits besteht Vollbeschäftigung für Akademiker*innen, die Chancen stehen also alles andere als schlecht. Bei mir war der Übergang nach einem halben Jahr Arbeitslosengeld I geschafft. Es gibt keine Garantie, dass etwaige zukünftige Jobwechsel reibungslos ablaufen werden, aber sie werden nicht in diesem Maße paradigmatisch sein.